Berndorf, Jacques (Hrsg)
ich höre seine stampfenden Schritte mehr als dass ich ihn sehe; und plötzlich renne ich fast von hinten in ihn rein.
»Da«, bemerkt er. »Das da muss weg.«
Ich reibe mir die ramponierte Nase, mit der ich zwischen Paps Schulterblättern aufgefahren bin und sehe ihm dann über die Schulter. Nur langsam können meine Augen in der Dunkelheit Einzelheiten ausmachen. Nach einem erlegten Reh sieht dieser Klumpen auf der Erde allerdings von Beginn an nicht aus.
Doch als ich verstehe, was da eigentlich auf dem Waldboden liegt, werden meine Knie endgültig weich.
»Paps, sag mir, dass das nicht wahr ist«, stammele ich entsetzt.
»Der Schuss ist von alleine losgegangen«, erklärt er leise. »Ich hab die gar nicht gesehen.«
»Ja bist du denn wahnsinnig«, entfährt es mir. »Wir müssen ... wir müssen die Polizei ...«
»Gar nichts müssen wir«, unterbricht er mich barsch. »Es ist doch noch Schonzeit! Wie soll ich denn erklären, dass ich hier mitten in der Nacht mit meiner Flinte unterwegs war?«
Irgendwie gelingt es mir, mich an einem Baum festzukrallen.
»Paps, du hast zwei Menschen erschossen! Da ist es doch egal, ob Schonzeit ist oder nicht!«
Seine Augen starren verärgert zu mir herüber. »Meinst du, ich hätte das extra gemacht?«, faucht er.
Mir wird schwindelig, wenn ich nicht den Baum im Arm hätte, säße ich längst auf dem feuchten Waldboden. Keine fünf Meter von mir entfernt liegen die Leichen eines Mannes und einer Frau. Und bei Paps hört sich das Ganze so an, als hätten wir es hier mit einem Fall von minderschwerer Sachbeschädigung zu tun.
»Und was willst du jetzt machen?«, krächze ich atemlos.
»Hast du den nicht erkannt?«
»Wen?«
»Na den Kerl da. Das ist doch dieser Binsfeld ... der aus dem Bundestag. Der von den Sozis.«
»Woher weißt du das?«, wimmere ich.
Statt eine Antwort zu geben lässt Paps seine Taschenlampe aufleuchten. Der Strahl der Lampe fällt auf die leblosen Körper und enthüllt Details, auf die ich lieber verzichtet hätte.
»Siehst du?«, fragt Paps. »Ganz klar Binsfeld. Und weiß doch jeder, dass der hinter allem her ist, was ’nen Rock anhat. Hat sich bestimmt ’ne Nutte mitgenommen, der geile Bock. Wegen dem ist es nicht schade.«
Ich kann ja verstehen, dass Paps als Mitglied einer großen konkurrierenden Partei nicht in Trauer über den Tod des politischen Gegners ausbricht, aber tröstlich ist dieser Umstand allemal nicht. »Wie ist denn das alles passiert?«, höre ich mich fragen
»Ich bin hier auf dem Weg zum Hochsitz, da hör ich plötzlich neben mir Stimmen. Als ich mich erschrocken umdreh, komm ich ins Stolpern, und da hat sich ein Schuss gelöst. Hat die beiden voll getroffen.«
»Nur ein Schuss?«
Paps keckert leicht, bevor er antwortet. »Die hat wohl vor dem gekniet. Siehste doch, vom Kopf ist fast nix mehr da.«
Wie zur Bestätigung richtet er wieder die Lampe auf die Szenerie. Und tatsächlich, die Frauenleiche reduziert sich fast auf einen Torso, MdB Binsfelds Verletzungen konzentrieren sich auf den Bereich zwischen Unterbrauch und Leiste. Hätte Paps nicht das durchschlagkräftigste Schrot genommen, wäre das alles wohl glimpflicher abgegangen.
Während ich mich nach wie vor krampfhaft an meinen Baum klammere, umfasst mein Schwiegervater mannhaft seinen Spaten und beginnt, den Waldboden umzurühren. Mit einem kräftigen Ruck reißt er einen gewaltigen Brocken Erde hoch, wirft ihn beiseite und setzt seine Grabungsarbeiten fort.
»Was wird das?«, frage ich zitternd
»Die können wir doch nicht liegen lassen«, lässt mich Paps wissen. »Hilfst du mir jetzt endlich?«
»Helfen? Wobei?«
»Ein Loch zu graben, Blödmann. Wir können die doch nicht so liegen lassen.«
»Du willst ...«, stammele ich fassungslos.
»Hör zu«, entgegnet mir Paps. »Das hier war ein Unfall. Hilfst du mir jetzt hier sauber rauszukommen? Wo du doch schon fast zur Familie gehörst?«
Mein Mund steht zentimeterweit auf, ich spüre, wie sich ein kieksender Laut aus meiner Kehle löst, den Paps offensichtlich als Zustimmung auffasst. Jedenfalls nickt er kurz und gräbt eifrig weiter.
Insgeheim warte ich darauf, dass mich jemand weckt, dass ich ein nasses Handtuch ins Gesicht geschleudert bekomme, dass mich eine barsche Krankenschwester nach einer Not-OP aus der Narkose erweckt. Aber nichts dergleichen geschieht, ich klammere mich immer noch an meinen Baum, der Spaten liegt zu meinen Füßen und Schwiegerpaps buddelt ein Grab für seinen
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