Berndorf, Jacques (Hrsg)
richtigen Männer und steuerte mühsam die Wagen der 1. Klasse an, während der Nachtzug in den unteren Schleifen der Kyll schlingerte. Schon das zweite Abteil war perfekt: Ein einzelner Mann, um die fünfzig, leger aber edel gekleidet, lederne Reisetasche; ein Geschäftsmann eben, der so tut, als sei er Tourist. Als sie umständlich mit der Tür klapperte, sah er misstrauisch hoch. Zoll? Steuerfahndung? Jetzt noch? Hier noch? Dann erkannte er ihre Behinderung und sprang hoch, als hätte er eine Feder im Hintern, um ihr die Tür aufzuhalten.
»Entschuldigung«, sagte Jenny. Sie konnte schon in der Schule auf Kommando rot werden. »Das ist mir schrecklich peinlich, aber es ist sonst niemand da.« Der Gips, der ihren rechten Arm von den Fingerkuppen bis weit über den Ellenbogen bedeckte, juckte immer so fürchterlich, dass sie ihre Nervosität kaum noch spielen musste. »Könnten Sie mir vielleicht behilflich sein?« Und schwitzen. Nicht so, dass es tropft, nur bis zum verschämten Glänzen. »Ich müsste dringend mal zur Toilette!«
Der Mann war zuerst überrascht, danach amüsiert, und dann geilte er sich daran auf, alles in drei Sekunden. Jenny erkannte es am Glitzern in seinen Augen.
Als Marek aus dem Zug stieg, schlug sein Herz so hoch im Hals, dass er kaum noch schlucken konnte. Soviel war es noch nie gewesen, mindestens zwanzigtausend, im Schuhfach der Reisetasche. Jenny war sensationell. Als der Zug weiterfuhr, holte er tief Luft und ließ sie in seiner Lunge, bis es wehtat. Er würde nie verstehen, wie Jenny es schaffte, bei all dem so cool zu bleiben. Er legte die Tüte mit dem Geld und den Papieren des Mannes in das Staufach unter dem Sitz des Motorrads. Zwanzigtausend! Was könnten sie damit alles machen!
Wie immer wurde er ruhiger, als er den Zündschlüssel drehte, als seine Hände auf den schwarzen Griffen der Lenkung lagen und das Vibrieren des Motors ihm das Rückgrat hochlief wie die flinken Finger einer erfahrenen Hure. Zwischen Kyllburg und Gerolstein konnte er voll aufdrehen und holte den Zug ein. Hin und wieder sah er ihn, hoch auf dem Bahndamm, neben sich, ein rasendes Irrlicht im Wald, hinter den schwarzen Bäumen hervorbrechend, fauchend. Jetzt lag er schon weit zurück, und als der Bahnübergang von Birresborn frei war, wusste Marek, dass er ihn hatte.
Er stellte sich im Schatten des Bahnhofs auf, hörte den Zug einfahren, abfahren, aber Jenny kam nicht heraus. Marek stellte das Motorrad ab, ungutes Gefühl, zwanzigtausend! und lief durch den Bahnhof, sah nur die schmutzige kleine Unterführung, den leeren Bahnsteig. Jenny war nicht ausgestiegen. Marek folgte dem Zug noch fünf Stationen lang, aber er holte ihn jetzt nicht mehr ein. Immer war er schon weiter, wenn Marek kam und hatte Jenny nicht ausgespuckt.
»Schädelbruch, hinten links.«
»Erschlagen?«
»Sie könnte auch auf die Kante der Toilette gefallen sein.«
»Geschlechtsverkehr?«
»Nein, aber er hat’s wohl versucht. Da sind eine Menge Schamhaare ausgerissen.«
»Todeszeitpunkt?«
»Zwischen zwölf und eins.«
»Wo war der Zug da?«
»Zwischen Bitburg und Kall.«
»Endlich mal ein klar umrissener Tatort.«
»Ja, aber das beste kommt noch. Ihr Arm, also der Gipsarm ...«
»Ja?«
»Der war überhaupt nicht gebrochen!«
Kommissarin Meylage runzelte die Stirn, während ihr junger Kollege Feldmann bei seinen Worten strahlte, als hätte er Amerika entdeckt. »Und was sagt uns das?«
»Ruf mal bei den Kollegen von Raub und Diebstahl an«, erwiderte Meylage. »Ich brauche alles über Diebstähle in Zügen, sagen wir: aus den letzten drei Jahren.«
»Sie war ein Lockvogel!« Feldmann grinste wie ein satter Säugling.
»Stell lieber ihre Personalien fest«, sagte die Kommissarin.
Immer der gleiche schmutzige Film. Die enge Kabine, Pisse und Chlor oder sonst ein Desinfektionsmittel; er bekam den Geruch nicht mehr aus der Nase. Die Nähe, die Wärme des Mädchens, die enge Jeans, kaum über die Hüften zu bringen. Ihr weißer Bauch, der schwarze Pelz, der ihm unter der billigen Bluse so plötzlich entgegensprang. Die festen Hinterbacken, die er nur kurz berührte, ganz kurz, zu kurz, als er den Slip runterzog. Schwitzen, Räuspern, falsches Lächeln. Den Rest schaffen Sie wohl allein?
Er hatte sich taktvoll umgedreht, aber im Spiegel alles gesehen. Wie sie die Bluse nach oben raffte, mit der linken Hand, unters Kinn. Wie die Bluse da einfach nicht bleiben wollte, als das Mädchen – Herrgott, sie könnte meine
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