Bernhard Gunther 01 - Feuer in Berlin
mir ausrechnen, daß sie mich nicht mit offenen Armen empfangen würden, und ich schätzte, daß es ebenso wahrscheinlich war, daß sie mir eine kostenlose Fahrt in ein KZ verschafften, als daß der Inspektor mich wegen des Mordes an Gert Jeschonnek anklagte.
Ich bin keine Spielernatur, aber die beiden Gestapomänner waren die einzigen Karten, die ich hatte.
Kriminalkommissar Jost sog nachdenklich an seiner Pfeife.
«Eine interessante Theorie », sagte er. Dietz hörte nur auf mit seinem Schnurrbart zu spielen, um verächtlich zu schnauben. Jost blickte einen Augenblick auf seinen Inspektor, dann auf mich. «Aber wie Sie sehen können, findet mein Kollege sie irgendwie unbeweisbar.»
«Das ist harmlos ausgedrückt, Großmaul», murmelte Dietz. Seit er meine Sekretärin verängstigt und meine letzte gute Flasche zerschmettert hatte, schien er noch widerwärtiger geworden zu sein.
Jost war ein großgewachsener, asketisch wirkender Mann mit einem Gesicht, das den ständig erregten Ausdruck eines Rothirschen trug, und einem dürren Hals, der aus seinem Hemdkragen ragte wie eine Schildkröte aus einer geborstenen Schale. Er gestattete sich ein rasiermesserscharfes Lächeln. Er war im Begriff, seinen Untergebenen energisch in die Schranken zu weisen.
«Aber Theorie ist schließlich nicht seine starke Seite», sagte er. «Er ist ein Mann der Tat, nicht wahr, Dietz? » Dietz sah ihn finster an, und das Lächeln des Kommissars wurde einen Hauch breiter. Dann nahm er seine Brille ab und begann sie auf eine Weise zu putzen, die niemanden im Befragungszimmer darüber im Zweifel ließ, daß er seinen Intellekt weit über eine Vitalität stellte, die bloß physisch war. Als er seine Brille wieder aufsetzte und seine Pfeife wieder in den Mund nahm, gähnte er gelangweilt.
«Das soll nicht heißen, daß Männer der Tat nicht einen Platz bei der Sipo hätten. Aber wenn alles gesagt und getan ist, sind es die Männer mit Kopf, welche die Entscheidungen treffen müssen. Warum nehmen Sie an, daß die GermaniaLebensversicherung es nicht für angebracht hielt, uns von der Existenz dieses Halsbandes in Kenntnis zu setzen? » Die Art, wie er unmerklich auf diese Frage zusteuerte, überraschte mich um ein Haar.
«Vielleicht hat sie niemand gefragt», sagte ich hoffnungsvoll. Es gab eine lange Stille.
«Aber das Haus war ausgebrannt», sagte Dietz fast ängstlich. «Normalerweise hätte die Gesellschaft uns informiert.»
«Warum sollte sie?» sagte ich. «Es wurde kein Anspruch geltend gemacht. Aber bloß um sicherzugehen, engagierten sie mich, für den Fall, daß man sie zur Kasse bitten würde.»
«Wollen Sie uns erzählen, sie wußten, daß im Safe ein wertvolles Halsband war», sagte Jost, «und waren dennoch willens, nichts dafür zu zahlen? Sie sollen bereit gewesen sein, wertvolles Beweismaterial zurückzuhalten? »
«Haben Sie denn daran gedacht, sie zu fragen?» wiederholte ich. «Kommen Sie, meine Herren, wir: reden von Geschäftsleuten, nicht von der Winterhilfe. Warum sollten sie sich so sehr beeilen, ihr Geld loszuwerden, daß sie jemanden drängten, Ansprüche an sie zu stellen, damit sie ein paar hunderttausend Reichsmark loswerden konnten? Und an wen hätten sie zahlen sollen? »
«An den nächsten Verwandten, natürlich », sagte Jost. «Ohne zu wissen, wer den Rechtsanspruch hatte und worauf? Kaum», sagte ich. «Schließlich waren noch andere Wertgegenstände im Safe, die mit der Familie Six nichts zu tun hatten, nicht wahr?» Jost blickte mich verständnislos an. «Nein, Kommissar, ich glaube, Ihre Männer waren mehr um die Papiere besorgt, die von Greis gehörten, als daß sie sich bemühten, rauszufinden, was sonst noch im Safe von Herrn Pfarr gewesen sein könnte.»
Dietz gefiel das überhaupt nicht. «Werden Sie hier bloß nicht frech, Großmaul», sagte er. «Sie sind nicht in der Position, uns Unfähigkeit vorzuwerfen. Wir haben genug, um Sie mit einem Fußtritt ins nächstbeste KZ zu befördern.»
Jost deutete mit dem Stiel seiner Pfeife auf mich. « Damit hat er zumindest recht, Gunther», sagte er. «Welcher Art unsere Versäumnisse auch sein mögen, Sie sind der Mann, dessen Kopf auf dem Richtblock liegt.» Er sog an seiner Pfeife, doch sie war leer. Er begann, sie zu stopfen.
« Wir werden Ihre Geschichte überprüfen», sagte er und befahl Dietz, den Schalter der Lufthansa in Tempelhof anzurufen, um festzustellen, ob es dort eine Reservierung auf den Namen Teichmüller für den Abendflug nach
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