Bernhard Gunther 01 - Feuer in Berlin
sogar, als ich mich rasierte. Sie kam ins Badezimmer und betrachtete mich. Das schienen wir ziemlich ausgiebig zu tun.
«Wenn man bedenkt, daß gestern nacht jemand versucht hat, dich umzubringen», sagte sie, «bist du heute morgen in erstaunlich guter Stimmung.»
«Ich sage immer, ein Zusammenstoß mit dem Sensenmann ist das Beste, um neuen Geschmack am Leben zu finden.» Ich lächelte sie an und fügte hinzu: «Das und eine gute Frau.»
«Du hast mir noch immer nicht erzählt, warum er es getan hat.»
«Weil er dafür bezahlt wurde», gab ich zur Antwort. «Von wem? Von dem Mann im Club?» Ich fuhr über meine Gesichtshaut und hielt Ausschau nach übersehenen Stoppeln. Da ich keine fand, legte ich den Rasierapparat weg.
«Erinnerst du dich, daß ich gestern morgen in Six' Haus anrief und den Butler bat, sowohl seinem Chef als auch Haupthändler etwas auszurichten?»
lnge nickte. «Ja. Er sollte ihnen sagen, du wärst dicht dran.»
«Ich hoffte, das würde Haupthändler genügend Furcht einjagen, um sich eine Blöße zu geben. Nun, es klappte. Bloß erheblich schneller, als ich erwartet hatte.»
«Du glaubst also, er bezahlte den Killer?»
«Ich weiß es.» Inge folgte mir ins Schlafzimmer, wo ich ein Hemd anzog. Sie sah mir zu, wie ich mich mit dem Manschettenknopf an dem Arm abplagte, den ich mir abgeschürft und den sie verbunden hatte. «Weißt du», sagte ich, « die Sache gestern nacht hat viele Fragen beantwortet, aber genauso viele aufgeworfen. Es ist keine Logik in dem Ganzen, nicht die geringste. Es ist, als würde man versuchen, aus den Stücken zweier Puzzles ein einziges zusammenzusetzen. Aus dem Safe der Pfarrs wurden zwei Dinge gestohlen: ein paar Juwelen und ein paar Papiere. Aber beides scheint überhaupt nicht zusammenzupassen. Und dann sind da noch die Stücke, die zu einem Mord gehören und die man nicht mit denen in Übereinstimmung bringen kann, die zum Diebstahl gehören.»
Inge blinzelte langsam wie eine schlaue Katze und blickte mich mit jenem Ausdruck an, der einen Mann ganz krank machen kann, weil er nicht zuerst darauf gekommen ist. Ich ärgerte mich, doch als sie sprach, wurde mir sofort klar, wie beschränkt ich tatsächlich war.
«Vielleicht hat es nie bloß ein Puzzle gegeben», sagte sie. «Vielleicht hast du versucht, ein Puzzle zusammenzusetzen, während es die ganze Zeit über zwei gab.» Ich brauchte eine kleine Weile, um das zu verdauen, bis ich mir schließlich mit der flachen Hand vor die Stirn schlug.
«Mist, natürlich, du hast recht.» Ihre Bemerkung wirkte wie eine Offenbarung. Es war nicht ein Verbrechen, dem ich gegenüberstand und das ich zu begreifen versuchte. Es waren zwei.
Wir parkten am Nollendorfplatz im Schatten der S-Bahn. Über unseren Köpfen donnerte ein Zug mit einem Getöse über die Brücke, das den ganzen Platz beherrschte. Es war laut; doch das reichte nicht, um den Ruß aus den hohen Fabrikschornsteinen von Tempelhof und Neukölln zu beeindrucken, der die Mauern der Gebäude, die den Platz umgaben, mit einer Kruste überzog, Gebäude, die viele bessere Tage gesehen hatten. Wir gingen zu Fuß nach Westen ins kleinbürgerliche Schöneberg, fanden in der Nollendorfstraße das viergeschossige Mietshaus, in dem Marlene Sahm wohnte, und stiegen in die vierte Etage hinauf.
Der junge Mann, der uns die Tür öffnete, trug Uniformirgendeine besondere Truppe der SA, die ich nicht kannte. Ich fragte ihn, ob Fräulein Sahm hier wohne, und er erwiderte, sie wohne hier und er sei ihr Bruder.
« Und wer sind Sie? » Ich gab ihm meine Karte und fragte, ob ich seine Schwester vielleicht sprechen könne. Dieses Anliegen schien ihn ziemlich aus der Fassung zu bringen, und ich fragte mich, ob er gelogen hatte, als er sagte, sie sei seine Schwester. Er fuhr mit der Hand durch einen mächtigen Schopf strohfarbener Haare und warf einen Blick über die Schulter nach hinten, ehe er beiseite trat.
« Meine Schwester hat sich gerade ein bißehen hingelegt», erklärte er. «Aber ich werde sie fragen, ob sie mit Ihnen sprechen möchte, Herr Gunther.» Er schloß die Tür hinter uns und versuchte, ein freundlicheres Gesicht aufzusetzen. Sein breiter, dicklippiger Mund war fast negroid. Er lächelte jetzt, aber ganz ohne Beteiligung beider kalten, blauen Augen, die sich abwechselnd rasch auf Inge und auf mich richteten, als folgten sie dem Flug eines Pingpongballes.
« Bitte warten Sie hier einen Augenblick.»
Als er uns in der Diele allein ließ, zeigte Inge auf
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