Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bernhard Gunther 03 - Alte Freunde neue Feinde

Bernhard Gunther 03 - Alte Freunde neue Feinde

Titel: Bernhard Gunther 03 - Alte Freunde neue Feinde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Kerr
Vom Netzwerk:
wirklich weder an die Intellektuellen noch an die arbeitenden Klassen gewendet haben. Sie wissen, daß ich mich der Partei erst 1939 angeschlossen habe. Stalin versteht sich besser auf diese Dinge. Heute sehe ich ihn in einem ganz anderen Licht als früher.»
    Ich runzelte die Stirn und fragte mich, ob das Müllers Vor stellung von einer Prüfung oder ein Scherz war. Doch er wirkte vollkommen ernst. Und ein bißchen aufgeblasen. «Sie bewundern Stalin?» fragte ich beinahe ungläubig. «Er steht turmhoch über allen unseren westlichen Füh rern. Selbst Hitler war, mit ihm verglichen, ein kleiner Mann.
    Denken Sie nur mal daran, wogegen sich Stalin und seine Partei behaupten mußten. Sie waren in einem von ihren La gern. Sie wissen, wie sie sind. Ja, Sie sprechen sogar Russisch. Man weiß bei den Iwans immer, wo man dran ist. Sie stellen dich an eine Wand und erschießen dich, oder sie hängen dir den Lenin-Orden um. Nicht so wie die Amerikaner oder die Briten.» Müllers Gesicht zeigte plötzlich den Ausdruck hefti gen Widerwillens. «Sie schwatzen über Moral und Gerech tigkeit und lassen trotzdem zu, daß Deutschland verhungert. Sie schreiben über Ethik, und doch hängen sie heute alte Kameraden, um morgen welche für ihren eigenen Sicher heitsdienst anzuwerben. Solchen Leuten können Sie nicht trauen, Herr Gunther.»
    «Verzeihen Sie, Herr Doktor, aber ich hatte den Eindruck, daß wir für die Amerikaner arbeiten.»
    «Das ist falsch. Wir arbeiten mit den Amerikanern. Doch im Grunde arbeiten wir für Deutschland. Für ein neues Va terland.» Jetzt sah er ein wenig nachdenklicher aus, erhob sich und ging zum Fenster. Seine Art, Nachdenklichkeit zu demonstrieren, war eine stumme Rhapsodie, die viel besser zu einem Bauernpriester paßte, der mit seinem Gewissen

    rang. Er faltete grüblerisch seine dicken Hände, löste sie wieder und preßte sich schließlich die Fäuste an die Schlä fen.
    «Anders als bei Rußland, gibt es an Amerika nichts zu be wundern. Aber die Amis haben Macht. Und es ist der Dollar, der ihnen diese Macht gibt. Das ist der einzige Grund, warum wir uns gegen Rußland stellen müssen. Wir brauchen die amerikanischen Dollars. Alles, was die Sowjetunion uns ge ben kann, ist ein Beispiel: ein Beispiel dafür, was Treue und Hingabe vollbringen können, sogar ohne Geld. Und jetzt fra gen Sie sich mal, was Deutschland bei gleicher Hingabe und mit amerikanischem Geld vollbringen könnte.»
    Ich versuchte, ein Gähnen zu unterdrücken, ohne daß es mir gelang. «Warum erzählen Sie mir das alles ... Herr Dok tor.» Eine unheimliche Sekunde lang hätte ich ihn beinahe Müller genannt. Wußte jemand außer Nebe und vielleicht von Bolschwing, der mich befragt hatte, wer Moltke wirk lich war?
    « Wir arbeiten für ein neues Morgen, Herr Gunther. Mag Deutschland jetzt auch zwischen ihnen aufgeteilt sein. Aber es wird eine Zeit kommen, da werden wir wieder eine große Macht sein. Solange wie unsere Organisation mit den Amis gegen den Kommunismus zusammenarbeitet, werden sie sich dazu überreden lassen, Deutschland seinen Wiederaufbau selber zu überlassen. Und mit unserer Industrie und unserer Technologie werden wir erreichen, was Hitler nie hätte errei chen können. Und wovon Stalin - ja, sogar Stalin mit seinen rigorosen Fünfjahresplänen - nur träumen kann. Der Deut sche wird vielleicht nie militärisch herrschen, aber er kann es auf wirtschaftlichem Gebiet tun. Es ist die Mark, nicht das Hakenkreuz, die Europa erobern wird. Sie zweifeln an mei nen Worten? »
    Wenn ich überrascht wirkte, dann nur deswegen, weil mir die Vorstellung, die deutsche Industrie könne über etwas an deres herrschen als über einen Schrotthaufen, grotesk vorkam. «Ich habe mich bloß gefragt, ob jeder in der Org so denkt wie Sie? »
    Er zuckte die Achseln. «Nicht genau so, nein. Es gibt eine Vielzahl von Meinungen über den Wert unserer Verbündeten und die Bösartigkeit unserer Feinde. Aber in einem Punkt sind sich alle einig, und das ist der Glaube an ein neues Deutschland. Ob das nun fünf Jahre auf sich warten läßt oder fünfundfünfzig.» Müller begann geistesabwesend in der Nase zu bohren. Das nahm ihn einige Sekunden in An spruch, dann inspizierte er Daumen und Zeigefinger und wischte sie an Nebes Vorhängen ab. Er war, überlegte ich, ein armseliger Indikator für das neue Deutschland, von dem er gesprochen hatte.
    «Wie dem auch sei, ich wollte lediglich die Gelegenheit be nutzen, Ihnen für Ihre Initiative

Weitere Kostenlose Bücher