Bernhard Gunther 03 - Alte Freunde neue Feinde
da wir uns gezwungen sehen, Dinge zu tun, die wir vielleicht unangenehm finden. Doch für viele alte Kameraden, die sich bemühen, im Zivil leben Fuß zu fassen, wiegt die Befriedigung, bei der Schaf fung eines neuen, freien Deutschland mitzuwirken, schwerer als solche Bedenken. Und diese Dienste werden natürlich großzügig honoriert.»
Es hörte sich so an, als habe König diese Worte oder ihre genaue Entsprechung bei vielen anderen Gelegenheiten ge sagt. Ich fing an zu glauben, daß es mehr alte Kameraden gab, als ich geschätzt hatte, deren Bemühungen, im Ziville ben Fuß zu fassen, man durch das einfache Hilfsmittel unter stützte, sie unter einer Art von militärischer Disziplin weiter leben zu lassen. Er erzählte noch viel mehr, was mir jedoch in ein Ohr hinein- und durch das andere wieder hinausging, ehe er nach einer Weile seinen Whisky austrank und sagte, wenn ich an seinem Vorschlag interessiert sei, werde er mich mit dem Baron bekannt machen. Als ich ihm erwiderte, ich sei sehr interessiert, nickte er zufrieden und bugsierte mich zum Perlenvorhang. Wir gingen durch einen langen Korridor und stiegen zwei Treppen hinauf.
« Dies ist das Gebäude des Hutgeschäftes nebenan», er klärte König. « Der Besitzer ist Mitglied der Organisation und gestattet uns, die Räume für Anwerbungszwecke zu be nutzen.»
Er blieb vor einer Tür stehen und klopfte leise. Als er eine Antwort von drinnen hörte, schob er mich in ein Zimmer, das nur vom Schein einer Straßenlaterne erhellt wurde. Doch das genügte, um das Gesicht des Mannes zu erkennen, der an einem Tisch am Fenster saß. Groß, mager, glattrasiert, dun kelhaarig, schütter werdendes Haar. Ich schätzte ihn auf etwa vierzig.
«Setzen Sie sich, Herr Gunther», sagte er und zeigte auf einen Stuhl auf der anderen Seite des Tisches.
Ich nahm den Stapel Hutschachteln weg, die dort lagen, während es sich König auf einer breiten Fensterbank bequem machte.
«Herr König glaubt, Sie könnten einen geeigneten Reprä sentanten für unsere Gesellschaft abgeben », sagte der Baron. «Sie meinen einen Agenten, nicht wahr? »
«Wenn Sie so wollen», sah ich ihn lächeln. «Doch bevor das geschehen kann, möchte ich gern etwas über Ihre Persön lichkeit und Ihre Verhältnisse erfahren. Ich muß Sie befragen, damit wir entscheiden können, wie wir Sie am besten einset zen können.»
«Wie beim Fragebogen? Ja, ich verstehe.»
«Fangen wir damit an, wie Sie zur SS kamen», sagte der Baron. Ich erzählte ihm alles über meine Tätigkeit bei der Kripo und beim RSHA und wie ich automatisch Offizier der SS geworden war. Ich erklärte, daß ich als Mitglied von Arthur Nebes Sonderkommando nach Minsk gegangen sei, da ich aber keine Lust gehabt hätte, Frauen und Kinder zu er morden, um Versetzung an die Front nachgesucht und statt dessen zum Wehrmachtsamt für Kriegsverbrechen gekom men sei. Der Baron befragte mich intensiv, aber höflich, und er gab sich als perfekter österreichischer Ehrenmann. Außer, daß ihn ein Hauch falscher Bescheidenheit umgab, seine Ge sten ein wenig zu aufgesetzt wirkten und seine Sprechweise auf etwas hinzuweisen schien, auf das jeder wahre Ehren mann alles andere als stolz gewesen wäre.
«Erzählen Sie mir etwas über Ihre Arbeit im Amt für Kriegsverbrechen. »
«Das war zwischen Januar I942 und Februar I944», er klärte ich. «Ich hatte den Rang eines Oberleutnants und un tersuchte deutsche wie russische Greueltaten.»
« Und wo war das genau? »
«Ich war in Berlin in Blumeshof, gegenüber dem Kriegsmi nisterium, stationiert. Von Zeit zu Zeit wurde ich zu Aufga ben im Feld abkommandiert. Insbesondere auf die Krim und in die Ukraine. Später, im August I943, verlegte das OKW seinen Sitz wegen der Bombenangriffe nach Torgau.»
Der Baron lächelte hochnäsig und schüttelte den Kopf. «Vergeben Sie mir», sagte er, «es ist bloß so, ich hatte keine Ahnung, daß ein solches Amt innerhalb der Wehrmacht exi stiert hat.»
«Es war nichts anderes als die entsprechende Abteilung der Preußischen Armee während des Ersten Weltkrieges», sagte ich. «Es muß ein paar allgemein akzeptierte humani täre Werte geben, selbst in Kriegszeiten.»
«Vermutlich muß es das», seufzte der Baron, doch er schien davon nicht überzeugt. «In Ordnung. Was geschah dann? »
«Angesichts der Ausweitung des Krieges wurde es not wendig, alle tauglichen Männer an die russische Front zu schicken. Ich wurde zum Hauptmann befördert und kam im Februar I944
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