Bernie und Chet
verabreicht haben«, sagte der Mann, »d reißig Sekunden, im Höchstfall.«
»N icht mal«, sagte die Tierheimfrau.
Dann war ein neuer Laut zu hören, tief und wild. Das war ich, ich knurrte. Die Frau in dem weißen Kittel tätschelte mich mit ihrer sanften Hand. Ich knurrte weiter.
»I st das normal?«, fragte Suzie. »D ass sie sich widersetzen?«
»S o würde ich es nicht nennen«, sagte die Tierheimfrau. »E r ist nur nicht an die Umgebung hier gewöhnt, das ist alles.« In diesem Moment spürte ich einen heftigen Stich weit oben an einem meiner Hinterbeine.
»J etzt drehen wir nur noch dieses kleine Ventil auf und …«
»H e«, sagte Suzie. »I rgendwie kommt er mir bekannt vor.«
»D er Hund?«, fragte der Mann.
»J a, der Hund«, sagte Suzie. »W o ist er gefunden worden?«
»I rgendwo in der Wüste, möglicherweise in New Mexico«, antwortete die Tierheimfrau. »E in Motorradfahrer hat ihn hergebracht – kein Halsband, keine Marke.«
Ich hörte ein paar rasche Schritte, und dann erschien Suzie in meinem Blickfeld. Suzie! Sie sah prüfend und mit besorgter Miene auf mich herunter. »C het? Bist du das?« Was für eine Frage! Musste Suzie vielleicht eine Marke am Hals tragen, damit ich sie erkannte?
Ich war an die Tischplatte gefesselt und konnte mich nicht rühren. Aber ja, ich bin ’ s, Chet, schlicht und einfach Chet. Wie sollte ich ihr das nur begreiflich machen? – Und dann fiel es mir ein: Ich konnte mich nicht rühren, aber eins konnte ich: Ich konnte meinen Schwanz bewegen. Ich hob also ebendiesen Schwanz und schlug damit so laut wie möglich auf die Tischplatte. Der kalte Metalltisch erzitterte, der ganze Raum erzitterte.
»F assen Sie dieses Ventil ja nicht an«, sagte Suzie.
Ich saß auf dem Kopilotensitz von Suzies Auto, zwischen uns eine Schachtel Hundekekse. Ab und zu fasste sie hinein und gab mir einen Keks, manchmal reckte ich den Hals und leckte ihr übers Gesicht.
»W as hattest du dort draußen nur zu suchen, Chet?«, fragte sie. Und: »W o steckt Bernie?«
Ich leckte sie noch mal ab, das war alles, was mir einfiel. Sie lachte. »H ör auf damit – sonst baue ich noch einen Unfall.« Ich hörte auf, ein bisschen. Suzie roch nach Obst – Äpfeln und Erdbeeren. Ich war kein großer Obstesser, aber ich mochte den Geruch von Obst. Für einen Menschen roch Suzie sehr gut, besser als die allermeisten, die ich kannte. Es war auch Blumengeruch dabei, von diesen kleinen gelben Blumen, auf die Bienen – da fange ich lieber gar nicht erst an, von denen hatte ich wirklich genug …
Und unvermittelt musste ich an Madison denken, wie sie aus dem Gebäude an der Mine zu mir heruntersah, und an all die bösen Leute. Ich drehte den Kopf und sah aus dem Heckfenster.
Suzie blickte in den Rückspiegel.
»I st dort hinten was, Chet?«, fragte sie.
Ich sah nur Verkehr, der sich wie immer durch die Landschaft bewegte.
»I ch hätte schwören können, dir ist gerade etwas durch den Kopf gegangen«, sagte sie. »I ch würde viel darum geben, wenn ich deine Gedanken lesen könnte.«
Meine Ohren stellten sich von ganz alleine auf, keine Ahnung, warum. Suzie gab mir noch einen Keks. Woher bekam sie nur so gute, knusprige Kekse? Ich wollte ihn in aller Ruhe genießen, schaffte es aber nicht, sondern schlang ihn mit einem Happs hinunter. Dann hielt ich meine Nase aus dem Seitenfenster. Tolle Gerüche, die so schnell an mir vorbeirauschten, dass ich sie kaum unterscheiden konnte. Ein Vogel flog vorbei, ganz niedrig. Ich konnte Vögel nicht leiden, hatte es nie geschafft, einen zu erwischen, aber bei Katzen sah das immer ganz leicht aus. Ich bellte dem Vogel hinterher, aber er schien es nicht zu bemerken, daher bellte ich noch ein bisschen. Was für ein Leben! Gab es etwas Schöneres? Erzählen Sie mir nichts.
»C het! Was soll denn das?«
Aus purer Freude hatte ich nach dem Armaturenbrett gehauen, huch, vielleicht sogar einen kleinen Riss reingemacht.
»D as ist Leder.«
Leder kannte ich, versteht sich, wusste, wie es sich anfühlte, roch, schmeckte. Ich bekam ein schlechtes Gewissen, aber nur kurz. Dann konnte ich an nichts anderes mehr denken als daran, wie sich Leder anfühlte, wie es roch und schmeckte, einfach toll nämlich. Beinahe hätte ich noch mal am Armaturenbrett gekratzt. Was für ein Leben!
Die Straße wand sich den Berg hinauf. Von oben sahen wir auf die Ebene hinunter, die, so weit das Auge reichte – bis zu anderen in der Ferne aufragenden Bergen –, von Menschen
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