Bertrams Hotel
Sorgen hatten. Er war nicht der Typ, der Gefühlsregungen in den Gesichtern seiner Mitmenschen wahrnahm. Aber heute fiel es ihm auf, vielleicht, weil Miss Gorringe ihren Gästen so viele Jahre hindurch stets dasselbe Gesicht präsentiert hatte.
»Sie sind doch hoffentlich nicht krank gewesen?«, fragte er besorgt. »Sie sehen etwas dünner aus.«
»Nun, wir hatten allerlei Aufregungen.«
»Ach, wirklich? Das tut mir aber leid. Doch nicht etwa meinetwegen?«
»O nein«, erwiderte Miss Gorringe. »Wir haben uns natürlich Gedanken gemacht, aber sobald wir hörten, dass man Sie gefunden hat – « Sie unterbrach sich und fuhr fort: »Nein. Nein – es ist dieser – nun, vielleicht haben Sie es in den Zeitungen gelesen. Gorman, unser Außenportier, ist getötet worden.«
»Ach ja«, sagte Kanonikus Pennyfather. »Ich erinnere mich jetzt. Ich habe tatsächlich gelesen, dass Sie hier einen Mord hatten.«
Miss Gorringe schauderte, als das Geschehen so unverblümt beim Namen genannt wurde.
»Schrecklich«, sagte sie. »Einfach schrecklich. So etwas ist im Bertrams noch nie vorgekommen. Ich meine, wir sind kein Hotel, wo Morde passieren.«
»Nein, nein, ganz gewiss nicht«, sagte Kanonikus Pennyfather rasch. »Davon bin ich überzeugt. Ich meine, es wäre mir nie in den Sinn gekommen, dass so etwas hier passieren könnte.«
»Natürlich geschah es nicht innerhalb des Hotels«, erläuterte Miss Gorringe ein wenig heiterer, als ihr das in den Sinn kam. »Es ereignete sich draußen auf der Straße.«
»Also hatte es eigentlich nichts mit Ihnen zu tun«, meinte der Kanonikus hilfsbereit.
Die Feststellung war offenbar doch nicht ganz richtig.
»Aber es hing mit Bertrams Hotel zusammen. Wir mussten die Polizei im Hause dulden, die die Leute verhörte, da es ja unser Portier war, der erschossen worden ist.«
»Dann haben Sie also einen neuen Mann da draußen. Wissen Sie, ich habe schon gedacht, dass alles ein wenig fremd wirkte.«
»Ja, ich kann nicht gerade sagen, dass er unsere Erwartungen erfüllt. Ich meine, er entspricht nicht ganz unserem Standard. Aber wir mussten natürlich in aller Eile jemanden engagieren.«
»Ich entsinne mich jetzt«, sagte Kanonikus Pennyfather, krampfhaft bemüht, ein paar Erinnerungen an das zusammenzusuchen, was er vor einer Woche in der Zeitung gelesen hatte. »Traurig, sehr traurig.«
»Für uns sind daraus schreckliche Unannehmlichkeiten entstanden«, klagte Miss Gorringe. »Die Polizei geht dauernd hier ein und aus. Es war wohl nicht anders zu erwarten, aber wir schätzen das nicht – zwar muss ich zugeben, dass Chefinspektor Davy und Sergeant Wadell sehr gediegene Leute sind. Sehr gute Umgangsformen – und Zivilkleidung, nicht der Typ mit schweren Stiefeln und Regenmänteln, wie man sie im Film sieht. Fast wie unsereins.«
»Hm – ja«, sagte Kanonikus Pennyfather.
»Mussten Sie ins Krankenhaus?«, erkundigte sich Miss Gorringe.
»Nein«, erwiderte der Kanonikus, »sehr nette Leute, wirklich gute Samariter – er war, glaube ich, ein Gärtner –, fanden mich, und seine Frau hat mich wieder gesundgepflegt. Ich bin ihnen sehr dankbar. Es ist wohltuend, wenn man entdeckt, dass es noch Menschenfreundlichkeit gibt in der Welt. Meinen Sie nicht auch?«
Miss Gorringe erklärte, sie finde diese Tatsache ebenfalls sehr tröstlich. »Besonders wenn man liest, wie die Verbrechen sich häufen«, setzte sie hinzu, »alle diese schrecklichen jungen Leute, die Banken und Züge ausrauben und Menschen aus dem Hinterhalt angreifen.« Sie blickte auf und sagte: »Chefinspektor Davy kommt gerade die Treppe herunter. Ich glaube, er will mit Ihnen reden.«
»Ich weiß gar nicht, warum er mich sprechen will«, meinte Kanonikus Pennyfather verdutzt. »Er hat mich nämlich bereits in Chadminster aufgesucht und war offenbar enttäuscht, dass ich ihm nichts Brauchbares erzählen konnte.«
»War Ihnen das nicht möglich?«
Der Kanonikus schüttelte bekümmert den Kopf.
»Ich konnte mich auf nichts besinnen. Der Unfall fand irgendwo in der Nähe eines Ortes namens Bedhampton statt, und ich verstehe einfach nicht, was ich dort getan haben könnte. Der Chefinspektor fragte mich dauernd, warum ich dort war, und ich konnte es ihm nicht sagen. Sehr merkwürdig, nicht wahr? Er schien zu glauben, dass ich einen Wagen aus der Nähe irgendeines Bahnhofs zu einem Pfarrhaus gefahren hätte.«
»Das klingt recht logisch«, meinte Miss Gorringe.
»Es ist aber ganz unlogisch«, erklärte Kanonikus
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