Beruehrt
für alle Mal auf andere Gedanken zu kommen.
5
R achel hatte eine Strecke entdeckt, die sie rasch hügelabwärts in Richtung Süden aus der Stadt herausführte. Sie ließ die sommerlichen Touristenkolonnen hinter sich, die sich durch die Gässchen und Straßen drängten, und genoss die letzten Regentropfen und den frischen Wind auf ihrer Haut. Ihre Joggingschuhe patschten durch Pfützen, die noch nicht vollständig von der dampfenden Erde aufgesogen waren, und knirschten durch Sand und über Kies. Am Swanpoolbeach waren trotz des wolkenverhangenen Himmels jede Menge Kajaks im Wasser und ein paar unverdrossene Kinder bauten, in ihre eigene Welt versunken, Sandburgen und Gräben. Rachel gab sich alle Mühe, nicht auf Handtücher und Kinderschaufeln zu treten. An einem Café überlegte sie kurz, für ein Eis anzuhalten, bevor ihr einfiel, dass sie gar kein Geld dabeihatte, und rannte in Richtung des Naturreservats weiter. Sie umrundete den kleinen Brackwassersee, machte einen großen Bogen um ein paar angriffslustig dreinblickende Schwäne und lief noch ein Stück um den Golfplatz herum, bevor sie sich erschöpft und kalorienreduziert genug fühlte, um sich eine Dusche und eine Tiefkühlpizza verdient zu haben.
In der Post war ein Scheck ihres Vaters mit der dezenten Aufforderung, sich doch bitte allmählich nach einem Job umzusehen, denn er sei sonst pleite, bis das Semester anfing. Rachel setzte »Jobsuche« im Geiste auf ihre Prioritätenliste. Caleb wusste bestimmt etwas. Obwohl … eigentlich war sie ganz froh, dass er sich seit der Party etwas rargemacht hatte – was ihr tatsächlich gerade erst auffiel.
In der Zwischenzeit hatte sie allerdings mitbekommen, dass Caleb sogar in einer der angesagtesten Studentenbands spielte, die in wechselnden Clubs und Kneipen der Stadt auftrat. Er und seine Jungs hatten einen der Proberäume auf dem Campus gemietet. Wahrscheinlich übte er dort für eins der zahlreichen Sommer-Open-Airs, die zu dieser Jahreszeit fast an jedem Wochenende stattfanden. Das war eigentlich eine ziemlich coole Sache. Aber Rachel hatte beschlossen, sich vorläufig durch nichts und niemanden mehr beeindrucken zu lassen. Sie war schließlich kein naives Mäuschen. Und sie würde bestimmt nicht vom Regen in die Traufe stolpern.
Rachel schaltete den Fernseher an, holte die Pizza aus dem Gefrierfach und heizte den Backofen vor, während sie schnell unter die Dusche hüpfte. Zweimal meinte sie, ein Geräusch an der Wohnungstür zu hören. Beim ersten Mal drehte sie das Wasser ab und war kurz davor, komplett eingeseift und mit Shampoo in den Haaren zur Tür zu flitzen. Im letzten Moment überlegte sie es sich jedoch anders, weil ihr Seife in die Augen gelaufen war, als sie sich nach ihren Badeschlappen gebückt hatte. Beim zweiten Mal hatte sie die Badeschlappen weggelassen und wäre dafür fast auf dem Badezimmerboden ausgerutscht.
Also beschloss sie, so laut zu singen, dass sie nichts anderes mehr hören konnte. Vielleicht sollte sie es wie Kathy und Josh machen und einfach mal ein paar Tage wegfahren, bevor sie hier noch komplett durchdrehte – und das wegen eines einzigen, völlig harmlosen und egal wie wahnsinnig guten Kusses. Helen könnte ja während ihrer Abwesenheit unauffällige Kontrollgänge absolvieren, um nach Botschaften Ausschau zu halten? Ob sie das wohl tun würde? Sie würde das umgekehrt auf jeden Fall machen, überlegte Rachel weiter. Das waren schließlich Freundschaftsdienste, Ehrensache also.
Nein, besser sie blieb doch hier. Außerdem war das sowieso alles Blödsinn. Lächerlich. Abgehakt war abgehakt – pffff. Sie verdrehte die gereizten Augen und stellte das Wasser ab. War da nicht doch ein Geräusch an der Tür?
Rachel rubbelte sich im Eiltempo die Haare trocken, warf sich ihren Bademantel über, kontrollierte kurz im Spiegel, wie sie aussah, und zwang sich, auf dem Weg noch schnell die Pizza in den Ofen zu schieben. Dann rannte sie quer durch die Wohnung und riss die Tür auf.
Niemand.
Aber als sie den Kopf weiter in den Flur steckte, ertappte sie ein paar Meter weiter Caleb, der offenbar gerade den Rückweg angetreten hatte. Leider bemerkte er sie, bevor sie die Tür wieder zuziehen konnte. »Hast du bei mir geklopft?«, fragte sie und bemühte sich, locker zu klingen.
Caleb schüttelte den Kopf. »Nein. Ich wollte erst, aber dann hab ich’s gelassen. War nicht so wichtig und ich wollte deine Gesangsübungen nicht stören.« Er klang entwaffnend
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