Beruehrt
deinem Kosmos ist immer alles so einfach«, meinte Rachel, während Helen sich bei ihrer Freundin unterhakte und sie in Richtung Hafen zog.
Einen halben Becher Vanilleeis mit Himbeeren später sah die Welt tatsächlich schon besser aus. Sie saßen auf einem Steg, mit Blick aufs Meer, und ließen die Beine über dem Wasser baumeln. Rachels Blick verlor sich zwischen den Kähnen, die in weiter Ferne den Horizont zerteilten.
»Also, wann hast du beschlossen, dich in die Reihe seiner Opfer einzureihen?«, riss Helen sie aus ihren Gedanken.
»Hab ich nicht«, jammerte Rachel. »Es ist nicht, wie du denkst … ich … sag mal, wusstest du, dass er einen Copen fährt?«
Helen zog verständnislos die Augenbrauen hoch. »Meinst du den kleinen grünen Flitzer? Was hat denn das jetzt damit zu tun?«
Rachel hob hilflos die Schultern. »Gar nichts. Ich steh halt auf diese Autos.«
Vor ihrem inneren Auge schlitterte ein sich um die eigene Achse drehender Copen auf regennasser Fahrbahn auf sie zu. Sie sah sich selbst wie in Trance mitten auf der Straße stehen, während das Auto immer weiter auf sie zuraste. Durch die Windschutzscheibe hindurch blickte sie in die verzerrten Gesichter der Insassen. Da war eine schreiende junge Frau auf dem Beifahrersitz und ein verzweifelt gegenlenkender Grayson am Steuer. Rachel bemühte sich, die unheimliche Vision abzuschütteln. Ihr war der Appetit vergangen, sodass sie die letzten Himbeeren aus ihrem Plastikbecher in den Wind kippte. Eine Schar kreischender Möwen änderte augenblicklich die Flugbahn und stürzte sich gierig darauf. Rachel rieb sich die schmerzhaft pochenden Schläfen.
»Du stehst mindestens so sehr auf Grayson Wolf wie auf sein Auto.« Helen schenkte ihr einen mitfühlenden Blick. »Also, was hat dich da drin so aus der Bahn geworfen?«
Rachel schüttelte den Kopf, um die albtraumhaften Bilder loszuwerden. Sie waren hartnäckig und Angst einflößend, sie wollten einfach nicht verschwinden.
Helen interpretierte Rachels Abwehr anscheinend anders. »Schätzchen, tagelang hämmert Musik aus deinem Wohnzimmer – und zwar zu allen möglichen und unmöglichen Uhrzeiten, gepaart mit unberechenbarem Schweigen und Nichtauftauchen, dazu rätselhafte Rötungen am Kinn und Einsilbigkeit – und dann mit Caleb in den Probenraum verschwinden. Du bist verliebt, und zwar unglücklich. Glaub mir, damit kenn ich mich aus. Und dann ist da noch irgendwas, das du nicht erzählen willst …«
»Ja, nein, ich …« Rachel fuhr sich mit den Fingern durch die Haare, als wollte sie sie büschelweise ausreißen. Dann ließ sie sich kraftlos gegen ihre Freundin sinken. »Was du alles mitkriegst«, sagte sie resigniert.
»Tja! Wusst ich’s doch!« Helen lächelte zufrieden und nahm sie in den Arm.
»Hattet ihr Sex? War er so gut, wie alle behaupten? Ich brauche Details!«
»Ich will nicht drüber reden«, murrte Rachel.
»Nicht mal ein kleines bisschen? Ach komm schon. Ich sag’s auch nicht weiter.«
»Nein.«
»Och bitte.«
»Nein!«
»Okay.« Sie schwiegen.
»Und jetzt?!«, fragte Rachel nach einer Weile.
»Aufmunterungsprogramm!«, sagte Helen, doch Rachel richtete sich auf und widersprach heftig.
»Nein, so einfach ist das nicht.« Sie zeigte mit dem ausgestreckten Arm in Richtung der Häuserreihen hinter sich, wo sie die Bibliothek vermutete. »Da ist noch mehr. Dieser Unfall. Eure ganzen Andeutungen wegen Graysons Frauengeschichten und dass er jemanden auf dem Gewissen hat. Was ist da wirklich passiert? Warum redet keiner von euch darüber?«, fragte sie verzweifelt, ließ Helen aber keine Zeit zu antworten. »Was sind das für geschwärzte Zeitungsberichte, die da auf Mikrofilm auftauchen? Und diese ganzen vagen Artikel im Netz!« Sie wurde rot, als sie bemerkte, dass sie damit zugegeben hatte, Grayson sogar gegoogelt zu haben. »Was weißt du über diese Sache?«, sprudelte es weiter aus ihr heraus. »Weswegen ist er angeklagt worden und wie ist der Prozess ausgegangen?« Endlich schnappte sie nach Luft.
»Er hat Glück gehabt, soweit ich weiß«, erklärte Helen leise. »Der Anwalt seiner Eltern hat das irgendwie geregelt, heißt es. Frag mich nicht, ob das stimmt … aber letztendlich hieß es, es sei ein Unfall gewesen. Eine ›fahrlässige Tötung‹ konnte man ihm nicht nachweisen. Ich erspar dir jetzt das ›wir haben dich ja vor ihm gewarnt‹. Ich sag nur, pass bitte auf dich auf, versprochen?« Sie sah Rachel ungewohnt ernst an und wartete das zögernde Nicken der
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