Beruehrt
gesprungen. Eine dicke Staubschicht lag darüber.
Rachel schüttelte die klebrigen Gespinste von ihren Fingern und fuhr vorsichtig mit einem Zeigefinger über das Glas. Unter dem Staub kam ein Foto zum Vorschein. Auf der Seite, die sie zuerst freigelegt hatte, tauchte Caleb auf. Er hielt ein Mädchen im Arm und strahlte glücklich in die Kamera. Rachel nahm ihr T-Shirt zu Hilfe und wischte weiter. Das Mädchen neben ihm kam ihr bekannt vor. Wo hatte sie das Gesicht schon einmal gesehen? Dann riss die Erinnerung sie beinahe um. Das war doch … »Amelia?«, ächzte sie überrascht und kämpfte gegen den Impuls an, das Bild fallen zu lassen, als hätte es ihr einen elektrischen Schlag versetzt. Waren die beiden etwa auch mal … zusammen gewesen? Sie schnappte nach Luft.
Auf dem Gang hörte sie Caleb pfeifend zurückkommen. Sie hatte das Gefühl, etwas Verbotenes berührt zu haben, an ein weiteres Geheimnis gestoßen zu sein, das sie nichts anging und worüber sie mit Caleb auch nicht reden wollte. Nicht heute zumindest. Erst brauchte sie mehr Informationen.
Hastig schob sie das Bild wieder hinter das Schränkchen und rückte es in seine ursprüngliche Position. Ihr Blick fiel auf die vergilbten, staubigen Zeitungsfetzen auf dem Boden. Schnell schnappte sie danach und stopfte sie hinterher, bevor sie sich zurück aufs Sofa setzte. Dann fiel ihr auf, dass sie ein paar Ausrisse übersehen hatte, doch Caleb war bereits an der Tür. Spontan warf sie ihre Jacke darüber und zwang sich zu lächeln, was ihm im Dämmerlicht des Raumes hoffentlich nicht weiter komisch vorkam.
»Na, was hast du angestellt?«, fragte Caleb fröhlich.
»Kellerleichen ausgegraben, mit Spinnen gekämpft und Sektgläser gefunden«, erwiderte Rachel wahrheitsgemäß.
»Dann ist ja alles gut«, freute sich Caleb und entkorkte die Flasche.
»Hoffentlich«, meinte Rachel nachdenklich und hielt ihm die Kelche hin. »Also auf die schwarzen Rosen!« Ihr Magen grummelte, was verschiedene Gründe hatte. Der bevorstehende Radioauftritt, die unerwartete Entdeckung, ihr schlechtes Gewissen und schließlich die Tatsache, dass sie seit dem Frühstück nichts mehr gegessen hatte.
»Sag mal, wie spät ist es eigentlich?«, fragte sie Caleb, der auf dem durchgesessenen Sofa so nah neben ihr hockte, dass sie fast an ihm klebte. Noch dazu schmeckte der Sekt extrem sauer.
»Kurz nach eins, wieso?«
»Hast du keinen Hunger?«, fragte sie auf der Suche nach einem Alibi und weil ihr Magen wirklich knurrte.
Caleb schüttelte den Kopf.
»Ich glaub, ich muss jetzt los«, log sie. Denn eigentlich gab es keinen Zeitdruck. Sie hatte mit Helen abgemacht, dass Rachel jederzeit zum Strand nachkommen konnte. Na ja, dann kam sie eben pünktlich. »Ich will Helen nicht warten lassen.« Sie hatte es auf einmal eilig, hier rauszukommen.
»Ich dachte, wir wollten das Stück noch mal üben? Und den neuen Song möchte ich dir auch noch vorspielen.« Er schaute sie geknickt an. »Wir sind doch eben erst gekommen.«
»Ach komm schon, Cal. Üben können wir auch im Schloss. Da zieh ich mir gerne in aller Ruhe was Neues von dir rein. Du hast doch zu Hause auch eine Gitarre, soweit ich mich erinnere. Und was aufzunehmen, dafür bin ich heute wirklich nicht in Stimmung. Ich glaube, ich muss die Sache mit dem Radio erst mal verarbeiten.« Entschlossen drückte sie den Korken zurück in die Sektflasche.
»Oh, heißt das, die Prinzessin wagt sich in die Höhle des Löwen?« Er ließ ihr keine Zeit zu antworten, sondern sprang extrem gut gelaunt auf. »Na gut, ich komm mit zum Schloss. Da hab ich mit Sicherheit besseren Stoff für dich. Warte, ich bring nur die Gläser und die Flasche in die Küche.«
Rachel war erleichtert, dass er nicht sauer auf sie war, und hatte fast schon wieder ein schlechtes Gewissen. Aber sie nutzte den unbeobachteten Moment und stopfte die Zeitungsfetzen in ihre Umhängetasche.
Caleb stand im Türrahmen und beobachtete sie. Rachel fuhr zusammen. »Du hast aber auch ein Talent, mich zu erschrecken!«, schnaufte sie entrüstet. »Bist du in die Küche geflogen?«
»Nein«, gab Caleb grinsend zurück. »Ich hab mir nur gedacht, dass andere den Sekt vielleicht doch noch zu schätzen wissen, und bis morgen wäre er eh nur noch Plörre. Also hab ich die Flasche in den Flur gestellt«, erwiderte er.
»Mit den schmutzigen Gläsern?« Rachel verzog das Gesicht.
»Wer ein Problem damit hat, kann sie ja abwaschen«, gab Caleb achselzuckend zurück. »Fahren
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