Beruehrt
Stärkeres.«
Wieso fanden die anderen diese Neuigkeiten eigentlich nicht so wichtig? Da gab es tagelang kein Lebenszeichen von Helen und nun das! Wieso hatte Caleb auf einmal so ein Interesse an Helen – und umgekehrt? Und wieso hatte er ihnen nichts davon erzählt? Rachel grübelte sich immer mehr in Rage. Helen fehlte ihr. Sie wäre der einzige Mensch gewesen, mit dem sie über so etwas reden hätte können – nur dass sie offensichtlich befangen war und unzurechnungsfähig noch dazu!
Rachel lief hinunter, sie wollte in den Garten. Sie brauchte frische Luft und musste sich bewegen. Eigentlich wollte sie joggen gehen, aber kalter Wind und dicke Regentropfen trieben sie gleich wieder rückwärts ins Schloss zurück. In der Halle fiel ihr Blick auf die Feuerschutztür zum Schwimmbad. Oh nein, bitte nicht. Nicht dort hinein. Unschlüssig blieb sie stehen, dann lief sie wieder nach oben. Zur Not würde sie eben die Treppe zehnmal rauf- und runterrennen, bis sie sich wieder halbwegs unter Kontrolle hatte.
Oben stürzte sie sich auf Malsachen, aber nachdem sie zwei Stunden lang nur wirre Kritzeleien und Farbgeschmiere auf die Leinwand gebracht hatte, donnerte sie die Staffelei in eine Ecke und warf sich aufs Bett. Hormoooone! Vielleicht hatte sie ja wirklich einen Hormonkoller? Irgendwo hatte sie mal gelesen, dass man erst ab zweiundzwanzig komplett über die Pubertät hinweg war und wieder klar denken konnte. Bis dahin war angeblich der Verstand verreist. Man sollte das auf Schilder drucken und so allerlei Leuten, die sie kannte, auf die Stirn pappen. Seufzend zerpflückte sie einen Streifen Malerkrepp in winzig kleine Fetzchen.
War sie etwa tatsächlich einfach nur eifersüchtig? Vielleicht hatte sie unterschwellige Besitzansprüche – an Helen und gleichzeitig an Caleb? Na ja, zumindest stimmte das ein klitzekleines bisschen …
Rachel angelte nach einem weiteren Streifen Malerkrepp. Die klebenden Fitzelchen hafteten auf ihrer Bettwäsche und an ihren Klamotten. »Das bringt doch alles nichts«, stellte sie schließlich fest.
Der Regen klatschte immer noch in dicken Tropfen gegen die Fenster und lief in breiten Rinnsalen die Scheiben hinab. Rachel fror. Sie deckte sich zu und fiel in einen unruhigen Dämmerschlaf.
Ein Poltern ließ sie aufschrecken. Sie wusste nicht, wie viel Zeit vergangen war. Jedenfalls knurrte ihr Magen und ihre Haare klebten. Es ziepte gewaltig, als sie Malerkreppkügelchen daraus befreite.
Dann hörte sie weitere Geräusche. Sie kamen von oben.
»Grayson!«, hauchte sie. Ihr Herz machte einen Sprung und rutschte ihr umso tiefer in die Hose. Ihre Erstbaustelle war heimgekehrt. Richtig gut war, dass Grayson Caleb sowieso nicht leiden konnte, in Sachen Helen hätte sie also einen Verbündeten! Mies war allerdings, dass sie sich definitiv noch entschuldigen musste. Bestimmt wollte er nichts mehr von ihr wissen, so wie sie sich bei ihrer letzten Begegnung aufgeführt hatte. Aber sie musste es riskieren, die Sehnsucht fraß sie auf. Sie musste ihn sehen. Sie würde ihm einfach um den Hals fallen, die Arme um ihn schlingen, seinen betörenden Duft einatmen und ihn küssen, bis sie beide keine Luft mehr bekamen.
Mist, sie musste Zähne putzen! Rachel hastete ins Bad, machte sich ein bisschen frisch, trug ein wenig Wimperntusche auf und zwang sich, zwei Scheiben Toast zu essen, bevor sie nach oben stürmte. Sich mit knurrendem Magen entschuldigen zu wollen, kam bestimmt nicht so gut.
Sieben Minuten später stand sie wieder einmal vor seiner verschlossenen Tür, aus der plötzlich kein Laut mehr drang. Das konnte doch nicht wahr sein! Hatte sich denn an diesem Tag alles gegen sie verschworen? Unschlüssig trippelte sie auf seiner Fußmatte herum. Er war auf jeden Fall nicht durchs Treppenhaus weggegangen, das hätte sie gehört. Es sei denn, er hätte das Zeitfenster zwischen Zähneputzen und Toilettenspülung benutzt … Rachel runzelte die Stirn. Es gab allerdings noch eine andere Möglichkeit. Seine Wohnung besaß schließlich einen Zugang zum Poolbereich …
Rachel machte auf dem Absatz kehrt, raste zurück in ihre Wohnung, warf ihre Klamotten mit fliegenden Fingern um sich, zog ihren Bikini an – nur für alle Fälle – und schlüpfte in ihren Bademantel. Hastig klemmte sie sich ein Handtuch unter den Arm und ließ Handy und Schlüsselbund in ihre Manteltasche gleiten. Sie hatte nämlich schon lange vorher beschlossen, bei diesem Sauwetter schwimmen zu gehen. Gleich nach dem
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