Berufen (Die Kinder des Schöpfers, Band 1) (German Edition)
zum Liegen.
Schwindelnd rappelte sie sich wieder auf. Die Prellungen, die sie sich ob ihres akrobatischen Kunststücks zugezogen hatte, ignorierte sie.
Doch er hatte sich viel zu schnell wieder erholt.
Sein Kopf schnellte herum und ein gieriges Schnauben entwich der Kreatur.
Eine dunkle Silhouette vor den hellen Fenstern.
Ein übergroßer schwarzer Wolf auf zwei Beinen, mit einem hohen Buckel auf dem krummen Rücken und tiefschwarzen Augen, als säßen an ihren Stellen Löcher. Seine herunterhängenden Hände waren nunmehr grotesk verformt und mit langen Krallen versehen. Seine Kleidung lag zerfetzt neben ihm.
Obwohl er keine Pupillen hatte, wusste Yve, dass er sie entdeckt hatte.
Sie riss sich von dem wirklich gewordenen Albtraum los und stürmte kopflos auf den Ausgang vom Hinterhof zu, da spürte sie schon einen Luftzug direkt über ihr.
Nein!
Abrupt bremste sie und kam schlingernd zum Stehen.
Er stand wieder vor ihr und versperrte ihr den Weg, knurrte hungrig.
Die triefenden Lefzen zogen sich gierig nach hinten und entblößten zwei Reihen nadelspitzer Zähne, die im dämmrigen Licht des Hinterhofs Unheil verheißend aufblitzten. Ihr Magen wurde zu einem harten Klumpen, der sich schmerzhaft zusammenzog und sie ächzen ließ.
Yve wich zurück. Sie wollte nur fort von dieser Kreatur. Ganz ihren Fluchtinstinkten folgend, stolperte sie rückwärts. Doch sie wurde jäh gebremst, als sie über einen am Boden liegenden Körper stürzte und einen spitzen Schrei ausstieß.
Crevi oder Reird.
Beide lagen sie da, rührten sich nicht und ließen sie im Stich.
Vlain, oder das Wesen, das er einmal gewesen war, folgte ihr. Leicht vornüber gebeugt schlich er auf sie zu, wobei sich sein dichtes schwarzes Fell vor Erregung sträubte.
Er stieg über die beiden anderen hinweg und kauerte sich vor Yve auf den Boden. Dann kroch er auf sie zu, betrachtete sie, als genieße er jede Sekunde ihres vom Grauen gezeichneten Gesichts.
Yve rührte sich nicht. Sie konnte einfach nicht. Keines ihrer Glieder wollte sich bewegen lassen, während diese Höllengestalt immer näher rückte.
Ein neuer Plan musste her.
Bevor sie sich aus ihrer Schreckensstarre lösen konnte, drückte er sie beinahe sanft mit einer seiner mächtigen Klauen in den Staub.
Ihr Atem wurde flach.
Sie wagte es nicht die Hände nach oben zu reißen, aus Angst sie könnte sich durch seine Krallen verletzen, wenn er sie abzuwehren versuchte.
Ganz gemächlich hockte er sich über sie und presste sie mit seinem gesamten Gewicht auf den Boden. Ihre Arme waren eng an den Körper gedrückt und sie konnte sie nicht mehr bewegen.
Seine gigantischen Arme stützten sich links und rechts neben ihrem Kopf auf die Erde und voller Schreck haftete ihr Blick auf den zentimeterlangen Krallen, die sich wie Dolche in den Lehmboden gruben.
Zusammen hangslose Gedanken rasten Yve durch den Kopf und trieben ihr die Tränen in die Augen. Was hatte sie bloß dazu verleitet, sich so dumm anzustellen?
» Spiel mit mir«, stieß Vlain knurrend hervor.
Das war nicht er. Das war sein Dämon.
Sie versuchte, sich zu beruhigen. Vlain war längst nicht der erste Dämon, der in ihrer Gegenwart die Kontrolle verlor. Sie versuchte, sich zu sammeln. Sie würde das hier überstehen. Irgendwie.
» D-dann«, stammelte sie, »musst du dich zurückverwandeln.«
» Und du wirst mir nicht davon laufen?«
» B-bestimmt n-nicht…«
Sie konnte nichts dagegen tun, dass ihre Stimme so sehr zitterte.
Zögernd tat er, wie sie gesagt hatte.
Das Gewicht, das auf ihr lastete, wurde merklich leichter, bis, so schien es zumindest äußerlich, wieder ein ganz gewöhnlicher Mensch über ihr kniete.
Nur seine Augen blieben gespenstisch schwarz.
» Tu, was du versprochen hast.«
» Komm näher«, bat sie ihn mit rauer Stimme.
Sein Gesicht rückte wieder heran, diesmal gar nicht so bedrohlich.
Seine Nasenspitze streifte ihre Wange und fast, für einen winzig kleinen Augenblick, dachte sie, dass es sich gar nicht so schlecht anfühlte.
Dann kehrte die Wahrheit des Moments zurück und sie musste sich zusammenreißen, um zu tun, was getan werden musste, wollte sie überleben.
Yve befreite ihren Arm und packte fordernd in sein Haar, zog ihn näher zu sich heran und hauchte ihm feuchte Küsse zu. Seine Lippen streichelten über ihre Nasenspitze, pressten sich fordernd auf die ihren. Sie gab sich der Berührung hin, erwiderte sie. Es blieb kalt, wenn er auch eine unnatürliche Wärme verströmte.
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