Beseelt
schattigen Licht des frühen Abends konnte sie sehen, dass die Welt vor ihren Augen verschwand und das Land sich ausstreckte bis in die …
„Die Ebene der Zentauren“, sagte Cu, der neben sie getreten war.
„Ich habe nicht gewusst, dass wir so nah sind.“ Sie strengte sich an, um durch die einsetzende Dunkelheit das sich im Wind wiegende Grasland zu erkennen, das einst ihr Zuhause gewesen war. „Also wollte der Falke uns dorthin bringen.“
„Ich glaube, er hat uns eher hierher geführt.“
Cu zeigte hinter sie. Sie schaute in die Richtung und sah, dass das, was sie vorher für einen Hügel gehalten hatte, in Wahrheit ein weit geöffneter Höhleneingang war. Ein schmaler Bach floss aus der Höhle heraus und fiel als Wasserfall über den Rand der Lichtung. Brighids Magen zog sich zusammen.
„Das ist ein Eingang in die Unterwelt“, sagte sie. „Genau wie dein Vater gesagt hat.“
„Nein, heute Nacht nicht.“ Cuchulainn ging zurück zu seinem Wallach und hob den Sattel und die Taschen vom schwitzigen Rücken des Pferdes. „Für diese Nacht ist es nur ein Unterschlupf, ein guter Ort zum Übernachten. Keiner von uns ist in der Verfassung, irgendwo hinzureisen – ob in der physischen Welt oder im Seelenreich.“
Als sie nicht reagierte, warf er ihr über die Schulter einen Blick zu.
„Willst du es riskieren, heute noch dem Geist deiner Mutter zu begegnen?“
Sie erbleichte. „Nein.“
„Ich auch nicht. Also werden wir schlafen. Morgen kümmern wir uns dann um die Anderswelt.
Sie nickte, überaus erleichtert, dass er da war, um Logik und Klarheit in eine Reise zu bringen, die weder logisch noch klar war. Sie wusste, dass die Zeit knapp war – Bregon hatte es vielleicht schon geschafft, aus Eponas Kelch zu trinken, aber der Nebel der Erschöpfung, der ihren Geist und ihren Körper umfing, sagte ihr, dass die Suche nach dem Kelch in dieser Nacht vergebens, wenn nicht sogar gefährlich wäre.
„Ich hole Feuerholz“, sagte sie.
Bevor sie auf die Bäume zustolpern konnte, trat Cuchulainn ihr in den Weg. Er nahm ihre Rechte und führte sie an seine Lippen.
„Heute Abend erinnerst du mich an Niam.“ Er musterte sie besorgt.
„Niam?“ Sie schüttelte verwirrt den Kopf. „Ich bin nicht …“
„Deine Augen sind eingefallen, deine Haut ist gerötet. Und du gehst, als würdest du jeden Augenblick umfallen.“
„Niam hat sich mindestens zwei Tage länger verausgabt. Sie hat vermutlich nicht ein einziges Mal angehalten, um zu schlafen oder zu essen. Und sie war keine Jägerin. Sie war es nicht gewohnt, sich körperlich anzustrengen. Ich bin …“
„Du bist sehr erschöpft“, unterbrach er sie. „Bring den Wallach an den Bach, damit er saufen kann. Trinke selber etwas. Ich hole Feuerholz.“
Sie wollte protestieren, doch seine nächsten Worte ließen sie verstummen.
„Bitte lass mich das für dich tun.“
In der vorherigen Nacht hatte er sich ihr frei und mit einer solchen Intimität hingegeben, dass es ihr schwergefallen war, zu glauben, der Mann, der unter ihrer Berührung erschauerte, war derselbe Krieger, der an ihrer Seite ein blutiges Schwert geführt hatte. Konnte sie lernen, ihm Zugang zu ihren Gefühlen zu gewähren? Er bat nicht darum, mit ihr Liebe machen zu dürfen, und doch liebte er sie. War es nicht nur eine andere Form der Hingabe, wenn sie ihm erlaubte, sich um sie zu kümmern?
Sie beugte sich zu ihm und küsste ihn, ließ die Lippen einen Moment lang auf seinen verweilen.
„Ich bringe das Pferd zum Wasser“, sagte sie.
Lächelnd berührte er ihr Gesicht und ging in den im Dunkeln liegenden Wald. Brighid führte den erschöpften Wallach zum Bach und tränkte ihn, dann rieb sie ihn ab und ließ ihn grasen. Als sie unter dem kristallklaren Wasserfall stand und sich den Staub und Schweiß vom Körper wusch, schaute sie in die schwarze Ferne, in der das Land ihrer Jugend lag. Es war angemessen, dass ihr erster Blick auf die Ebene im Dunkeln erfolgte.
„In was für ein Elend führst du dein Volk, Bregon?“, flüsterte sie. „Wieso kannst du Mutter nicht einfach sterben lassen?“
Bei seiner Rückkehr fand Cuchulainn Brighid am Rand der Lichtung vor, wo sie in die Dunkelheit starrte. Er verspürte leichtes Unbehagen. Es war nicht die erste Vorahnung, die er an diesem Tag erlebte. Seitdem sie sich in den Blau Tors aufhielten, war er von innerer Unruhe erfüllt. Anfangs glaubte er, das sei ein Zeichen seiner Erschöpfung. Brighid hatte nicht übertrieben, als sie
Weitere Kostenlose Bücher