Beseelt
Euer Meister. Auch Ihr sollt sehen, was Ihr habt zerstören wollen.“
Zögernd bildeten die Krieger einen Kreis um Nara und schauten auf Liam hinunter. Das Kind wirkte schwach, blass und zerbrechlich. Sein rundes junges Gesicht war von Tränen und Schmutz durchzogen. Das blonde Haar fiel ihm über eins seiner geschlossenen Augen. Ein staubiger Flügel lag eng zusammengefaltet an seinem kleinen Körper, der andere lag ausgebreitet auf Naras Schoß. Der Riss in ihm war unregelmäßig, als hätte der Pfeil wütend hineingebissen, anstatt gerade hindurchzufliegen. Blut rann ohne Unterlass aus der Wunde, obwohl Nara die Wundränder fest zusammennähte.
„Wenn die Blutung nicht nachlässt, werde ich sie veröden müssen“, sagte die Heilerin. Sie war voll auf ihren Patienten konzentriert. „Aber das möchte ich möglichst vermeiden. Es würde die noch im Wachstum befindlichen Membranen seines Flügels für immer schädigen. Er ist zu jung, um die Bürde des Krüppels zu tragen.“
„Wird er wieder gesund?“
Cuchulainn nahm ihr die Worte aus dem Mund, die Brighid nicht über die Lippen brachte.
„Das weiß nur die Göttin, aber er ist jung und stark.“ Nara schaute auf und direkt in Fagans Augen. Ihre Stimme war freundlich. „Habt Ihr Kinder, Krieger?“
„Nein. Dieses Glück ist mir nicht beschieden gewesen“, erwiderte er.
Die Heilerin sah die anderen sechs Männer an, die alle in das gleiche Schwarz gehüllt waren. „Ist einer von Euch Vater?“
Vier von ihnen nickten.
„Söhne oder Töchter?“, wollte Nara in lockerem Ton wissen.
Sie schauten zu ihrem Anführer; der neigte zustimmend den Kopf.
„Ich habe zwei Söhne.“
„Ich habe eine Tochter.“
„Drei Töchter und einen Sohn.“
„Ich habe drei Söhne.“
Nara lächelte jeden Mann an, während er sprach.
„Ihr seid reich gesegnet. Sagt mir, hat einer von Euch je einen Fehler gemacht?“
Die Krieger schwiegen, nickten aber.
„Wäre es nicht schrecklich schmerzhaft, wenn man Eure Kinder für Eure Fehler verantwortlich machen würde?“
„Das wäre es“, sagte der Vater der drei Söhne. Die anderen stimmten zu.
„Ich bete zu Epona, dass Ihr diesen Schmerz niemals kennenlernen müsst.“ Nara richtete ihre ungewöhnlich grünen Augen auf Fagan. „Krieger, glaubt Ihr, dass ein Kind den Preis für die Sünden seines Vaters zahlen soll?“ In ihrer Stimme klang keine Boshaftigkeit, nur eine sanfte Frage.
„Nein“, sagte Fagan. „Nein, das glaube ich nicht.“
„Dann lasst uns hoffen, dass sein Körper heilt, denn wenn nicht, ist genau das passiert – er wird den Preis für die Sünden seines Großvaters zahlen, den er nie kennengelernt hat.“
„Wir werden Epona anrufen, damit sie bei Liams Heilung hilft und ihn wieder gesund macht.“
Ciaras melodische Stimme zog die Blicke aller Männer auf sich. Die Schamanin kam anmutig auf die versammelte Gruppe zu. In einer fließenden Bewegung verbeugte sie sich tief vor Fagan. „Seid gegrüßt, Krieger der Wachtburg. Ich bin Ciara, Enkeltochter der inkarnierten Göttin Terpsichore und Schamanin der Neuen Fomorianer. Ich begrüße Euch im Namen meines Volkes.“
Eindeutig erschüttert von ihren Worten weiteten sich Fagans Augen, als die schöne geflügelte Frau ihn strahlend anlächelte.
„Ich … wir haben nicht erwartet …“ Er schüttelte den Kopf, als müsse er seine Gedanken neu ordnen. „Alle meine Männer sind sehr bewandert in der Geschichte des fomorianischen Krieges. Es ist überliefert worden, dass Terpsichores Inkarnation starb, nachdem sie der Dämonenarmee die Pocken gebracht hat.“
„Meine Großmutter hat die Dämonen tatsächlich mit den Pocken infiziert, aber sie hat es überlebt. Sie hat auch die Geburt meiner Mutter überlebt“, sagte Ciara mit klarer Stimme. „Viele der inkarnierten Göttinnen und Schülerinnen haben überlebt.“
„Das sind unerwartete Neuigkeiten“, sagte Fagan.
„Vielleicht würdet Ihr gerne einige der Nachfahren der Neun Musen kennenlernen?“
„Ich …“ Fagan schaute Cuchulainn an.
„Es ist nicht immer alles so, wie man es erwartet, Meister“, sagte der sanft. „Ich denke, Ihr solltet die Kinder kennenlernen.“
„Ah! Ihr seid ein Meister!“, sagte Ciara. „Welche ist Eure Waffe?“
„Das Schwert.“
„Die Kinder werden begeistert sein.“ Sie lachte freudig, dann drehte sie sich zu den geduldig schweigenden Kindern um, die ihre großen Augen auf die Fremden gerichtet hatten.
Brighid konnte kaum glauben,
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