Besessene
mehr.«
Luke nickte übertrieben heftig. »Du hast ja recht. Das Ganze geht mich überhaupt nichts an.«
»Nein«, korrigierte ich ihn in etwas sanfterem Ton, »esgeht dich durchaus etwas an, weil wir befreundet sind. Und weil ich längst schon ausgerastet wäre, wenn du mir nicht so sehr geholfen hättest.«
Meine Worte schienen Luke aufzuheitern, denn er streckte die Hand aus und ich klatschte – wenig enthusiastisch – ab. »Auf die Freundschaft, Kat.«
»Auf die Freundschaft«, wiederholte ich.
Aber Luke musste unbedingt das letzte Wort behalten. »Pass einfach auf, dass dir nicht schon der Erstbeste, den du kennenlernst, das Herz bricht, Kat.«
Ich schloss die Augen, konzentrierte mich auf die Bewegung des fahrenden Autos und dachte an Genevieve und den Vorfall mit dem Abendkleid, der ja der Anlass für unseren neuerlichen Ausflug war. Nachdem Genevieve den erschrockenen Ausdruck auf dem Gesicht der Verkäuferin gesehen hatte, hatte sie das Kleid auf der Stelle ausgezogen und erklärt, sie fände es ›fürchterlich‹. Ich hatte so getan, als sei ich in ein Buch mit Strickanleitungen vertieft, und voller Unschuld aufgesehen, als wollte ich wissen, ob es ein Problem gäbe. Genevieve zog eine finstere Miene und hatte es auf einmal eilig, den Laden zu verlassen. Sie wechselte kaum noch ein Wort mit mir, bis wir uns an der Bushaltestelle trennten.
Nach dieser Szene hatte ich den konkreten Hinweis, den ich brauchte – die Spur zu Genevieves Vergangenheit. Sie hatte wohl gedacht, sie könne sich ein neues Image zulegen und die Vergangenheit ausradieren, aber die Narben würden sie für immer zeichnen und daran erinnern, dass sie den Flammen doch nicht gänzlich unversehrt entkommen war.
Luke holte mich aus meinen Tagträumen zurück. »Wir hätten vielleicht doch erst in der Pfarrei anrufen sollen. Die Nummer steht bestimmt im Telefonbuch.«
»Wir wollten doch niemanden vorwarnen«, sagte ich gähnend. »Und außerdem durchschaut man Menschen sehr viel besser, wenn man ihnen gegenübersteht.«
»Mach dir nicht allzu große Hoffnungen«, warnte Luke mich. »Gut möglich, dass der Pfarrer die Pfarrei gewechselt hat, vielleicht ist er sogar gestorben oder was weiß ich …«
»Der wird schon noch vor Ort sein«, murmelte ich. »Die alte Frau in Lower Craxton hätte es uns bestimmt erzählt, wenn er dort nicht mehr Pfarrer wäre.«
»Er kann ja auch im Urlaub sein, auf Exerzitien oder was man sonst als Pfarrer eben tut …«
Ich lachte. »Er ist bestimmt noch da und passt auf seine Schäfchen auf.«
»Vielleicht will er auch gar nicht mit uns reden und anlügen können wir einen …«
»Kirchenmann wohl kaum«, ergänzte ich Lukes Satz. »Warum soll er denn nicht mit uns reden wollen?«
Luke klopfte mit den Fingern auf das Lenkrad. »Die Leute tun nicht immer, was man von ihnen will, Kat. Vielleicht ist ihm die Sache zu privat.«
»Schließlich ist es sein Job zu helfen«, insistierte ich gereizt. »Grace hin, Genevieve her – immerhin gehört sie zu seiner Familie. Er hat kein Recht dazu, sie einfach auf die Menschheit loszulassen … damit sie andere stalkt und ihnen Schlimmes antut, ihr Leben ruiniert, davon Besitz ergreift und was ihr sonst noch alles einfällt …«
»Du hast ja recht«, sagte Luke besänftigend und fügtemit einem listigen Zwinkern hinzu: »Aber der Gedanke, dass sie übernatürliche Kräfte haben könnte, quält dich doch jetzt nicht mehr, oder?«
»Nicht wirklich«, murmelte ich.
»Weißt du, Katy«, sagte Luke in belehrendem Ton, »dieser ganze Hokuspokus ist nichts weiter als das Produkt einer total naiven Denkweise. Wenn du nicht an ihn glaubst, kann er dir auch nichts anhaben …«
Plötzlich schrie ich auf und schlug die Hände vors Gesicht. Etwas war gegen unsere Windschutzscheibe gekracht. Aus dem Augenwinkel nahm ich wahr, wie Luke verzweifelt das Lenkrad herumriss, um die Kontrolle über den Wagen zu behalten, und wir quer über die ganze Straße schlitterten. Aber dann gelang es ihm, das Auto mit einem heftigen Ruck, der uns beide nach vorne schleuderte, zum Stehen zu bringen. Instinktiv verbarg ich den Kopf in meinen Händen und hörte eine erschrockene Stimme sagen: »Es war nur ein Vogel, Katy … sieh einfach nicht hin.«
Es war pervers, doch sobald er es gesagt hatte, konnte ich nicht anders: Ich musste einfach einen Blick aufs Fenster werfen, an dessen Scheibe eine tote Krähe klebte, die mich aus ihren erloschenen Augen
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