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Besser

Besser

Titel: Besser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Doris Knecht
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ran.

    «Und?» Meine Schwester war gestern Nachmittag wieder einmal mein Alibi, und Astrids Alibis gibt es nicht umsonst. Der Preis dafür ist, dass sie mir ihre moralischen Bedenken umhängt und mir mehr schlechtes Gewissen macht, als einer wirklich liebenden Schwester anstünde. Ich habe ihr mehr als einmal angeboten, ihr einfach nichts darüber zu erzählen, einfach so zu tun, als sei gar nichts, aber sie will es partout wissen, ganz genau, alles, im Detail. Vielleicht, weil es ihre Vorurteile über die Schlechtigkeit der Menschen und die Unmöglichkeit glücklicher, ehrlicher Beziehungen stärkt und das Fundament ihres selbstgewählten Singledaseins mit einer weiteren Schicht Stahlbeton festigt.
    «Gut, danke. Und dir?»
    «Schlecht. Denn ich habe leider gestern Nachmittag immer noch kein passendes Sofa gefunden.» Das hatte ich Adam erzählt: Dass Astrid und ich ein Sofa suchen, für ihre neue Wohnung. Sie hat sich eine kleine Eigentumswohnung gekauft, gerade groß genug für eine Person, viel zu klein für zwei. Ich wollte es ihr ausreden, aber sie blieb stur. Sie sei gern allein und wolle es bleiben, und ich sei ja eh so freundlich gewesen, zwei süße Kinder zu bekommen, das reiche für uns beide.
    «Tja, wir werden wohl weiter nach einem Sofa für dich suchen müssen.»
    «Vielleicht sollte ich lieber mal im Internet schauen.»
    «Ich könnte dir helfen. Ich kenne mich gut aus im Internet.»
    «Danke, sehr nett von dir. Also, wie war’s?»
    «Gut. Schön.» Ich kann hören, dass diese Erklärung mehr als unzureichend ist. Astrid schweigt.
    «Von mir aus: Es war sehr schön! Was willst du hören?!» Ich weiß, was sie hören will. Sie will hören, dass es mich aus den Schuhen haut, aus der Bahn wirft. Sie will mich wanken sehen. Sie will, dass ich zumindest schwere Schuldgefühle habe. Sie will, dass ich ein wenig leide; als hätte ich das nicht schon genug.
    «Liebst du ihn?»
    «Liebe, Liebe, du immer mit deiner Liebe … Ich weiß es nicht. Vielleicht. Vielleicht ein bisschen verliebt. Vielleicht manchmal. Ist es wichtig?»
    «Ja. Ist es.»
    «Warum?»
    «Ich glaube nun mal nicht daran, dass man zwei Menschen lieben kann.» Sie hat mal einen geliebt, richtig geliebt, lebensmenschartig geliebt, und er hat sie betrogen. Sie hat ihn verlassen, und seither hat sie keinen mehr richtig geliebt. Und vertraut keinem mehr. Allerdings hat Vertrauen in unserer Familie sowieso keine allzu große Tradition.
    «Wieso glaubst du, dass ich zwei Menschen liebe?»
    «Du machst den Eindruck.»
    Sie möchte hören, dass ich mich schuldig fühle. Sie möchte hören, dass ich mich deshalb bald entscheiden will. Aber ich will nicht. Ich will nicht wollen. Ich denke nicht einmal daran, außer, wenn Astrid mich dazu zwingt. Ich muss mich nicht entscheiden, weil ich mich schon längst entschieden habe.
    «Ach so. Im Übrigen liebe ich, wennschon, dennschon vier, die Kinder liebe ich nämlich, wie du weißt, auch. Und dich. Macht fünf. Für wen von euch soll ich mich nur entscheiden … hm. Knifflig.»
    «Du bist doof. Familie gilt nicht.»
    «Und warum nicht? Ist das eine so komplett andere Liebe?»
    «Ja.» Es geht ihr überhaupt nicht um die Liebe, sie findet es einfach nur moralisch falsch.
    «Es geht dir nicht um die Liebe. Du findest einfach verwerflich und böse, was ich tue. Du projizierst deine eigenen, miesen Erfahrungen auf mich.»
    «Kann schon sein.»
    «Ja, aber dich hat man leiden lassen. Wegen mir leidet keiner.»
    «Noch nicht.»

    Es stimmt nicht ganz. Ich lasse den Gedanken doch zu, manchmal, ganz selten, in schwachen, sentimentalen Momenten, nach besonders intensiven Nachmittagen, an Nachmittagen wie gestern, an denen es dich wegbläst, weil sich alles so viel richtiger anfühlt, als es sollte, in Stunden, in denen auch er mit dem Was-wäre-wenn-Scheiß anfängt, was ich ihm verboten habe, No-go-Area, ganz konsequent. Aber später, wenn ich wieder allein bin, kann es sein, dass ich manchmal doch selbst heimlich die Denkverbotsgrenze überschreite, sinniere. Wie es wäre mit ihm zusammen zu sein, nur mit ihm. Wie er mich berühren würde vor anderen. Wie wir miteinander umgehen würden. Wie wir sprechen würden miteinander. Wie wir wohnen würden, zusammen oder getrennt. Wie es wäre, neben ihm zu schlafen, aufzuwachen, mit ihm zu frühstücken; falls er frühstückt, ich weiß es nicht. Wie es wäre, mit ihm Auto zu fahren, seine Hand zu halten beim Gehen. Mit ihm im Restaurant zu essen. Wie wir streiten

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