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Bestialisch

Titel: Bestialisch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J.A. Kerley
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Familien, wo physische und psychische Misshandlungen zum Alltag gehören, und zwar in einem Ausmaß, das dem Durchschnittsamerikaner unvorstellbar erscheint.
    Sexueller Missbrauch, Gewalt, Perversion oder eine unerbittliche Kombination aus allen drei Schreckensszenarien berauben sie ihrer Kindheit. Einige Kinder halten durch, überstehen dieses unerträgliche Leid und führen dann das, was wir ein »normales Leben« nennen. Aber Durchhalten ist eine Fähigkeit und kein Fundament. Viele sind dermaßen traumatisiert, dass sie niemals in der Lage sind, eine normale Beziehung zu führen oder inneren Frieden zu finden. Bei anderen wird die Psyche so stark deformiert, als hätte ein loderndes Feuer ihre Seele ausgelöscht, bis da nichts mehr ist, das dem Bösen Einhalt gebieten kann. Und dann ist alles möglich.
    »Alles okay, Detective Ryder?«, fragte Waltz, als er mitbekam, wie schweigsam ich war.
    »Ich kenne all das viel besser, als mir lieb ist, Shelly.«
    »Ja, so geht es mir auch. Hören Sie, wenn wir uns hier zu zweit umhören, wirkt das vielleicht ein bisschen übertrieben. Ich halte es für besser, wenn nur einer von uns Fragen stellt. Würden Sie das übernehmen?«
    Ich nickte. »Klingt vernünftig.«
    Er gab mir einen Klaps auf die Schulter, stellte sich auf Zehenspitzen und schaute sich um. »Ich muss unbedingt auf die Toilette. Habe mir heute Morgen zwei Dosen von diesem Schokodiätdrink gegönnt.«
    Ich schlenderte so lange herum, bis ich die Leiterin des Jugendamtes gefunden hatte. Eugenie Brickie war eine schlanke, gut aussehende Schwarze Mitte fünfzig mit forschendem Blick, die mich von Kopf bis Fuß musterte, ehe sie entschied, dass ich auf der richtigen Seite stand.
    »Wie lange hat sie als Einzelfallbetreuerin gearbeitet?«, fragte ich. Wir gingen vor dem Gebäude auf und ab, damit Ms Brickie eine Zigarette rauchen konnte, doch von Rauchen konnte eigentlich keine Rede sein, denn sie steckte die Zigarette nur ganz kurz in den Mund und inhalierte erst, wenn sie den Glimmstängel wieder herauszog. Wahrscheinlich hatte sie jahrelang geraucht und paffte jetzt nur noch gelegentlich.
    »Nachdem Dora zwei Jahre bei uns gearbeitet hatte, wurde sie vor die Wahl gestellt, in den Innendienst zu wechseln oder gekündigt zu werden.«
    Ich wartete, bis ein Bus vorbeigefahren war, ehe ich die nächste Frage stellte. »War Dora nicht gut in ihrem Job?«
    »Vielleicht zu gut. Zu sensibel. Sie war nicht in der Lage, auf Distanz zu gehen. Jedes Kind war Doras Kind, und sie ging immer davon aus, dass ein Happy End möglich war. Und wenn es schiefging, gab sie sich die Schuld. Die Arbeit machte sie fertig. Und es setzte ihren Kollegen mächtig zu, wenn sie sich dreimal pro Woche auf der Toilette ausheulte.«
    »Dass sie sich da völlig rausgezogen hat, finde ich nicht nachvollziehbar.«
    Am Ende des Straßenblocks machten wir kehrt. Ms Brickie hatte ihre Zigarette fast aufgepafft.
    »Dora wohnte mit ihrer Mutter zusammen, die seit mehreren Jahren krank war. Das war auch der Grund, wieso sie am Wochenende noch als Maklerin arbeitete. Mit dem zusätzlichen Einkommen konnte sie die Rechnungen bezahlen. Irgendwann verschlechterte sich der Zustand ihrer Mutter, die Rechnungen häuften sich …«
    »Und Dora entschied sich für den besser bezahlten Job.«
    »Ich kann mir vorstellen, dass sie eine prima Maklerin war. Bestimmt setzte sie alles daran, dass jeder ihrer Kunden sein Traumhaus fand und glücklich war. Vielleicht hat sie sich deshalb so ins Zeug gelegt, aber sie hat sich nicht ganz von der Sozialarbeit verabschiedet.«
    »Was meinen Sie damit?«
    Wir blieben vor dem Eingang stehen. Ms Brickie steckte ihre Zigarette in einen rechteckigen, mit Sand gefüllten Aschenbecher und drückte den Stummel so tief hinein, dass nur ein braunes Loch von der Größe einer Kugel Kaliber.32 übrig blieb.
    »Vor etwa einem Monat bin ich ihr drüben in New York zufällig über den Weg gelaufen. Sie trippelte auf hohen Pumps und in einem bunten Kleid die Straße hinunter und wirkte so gut gelaunt und glücklich, als wollte sie vor Freude Bäume ausreißen. Als ich sie im Scherz fragte, ob sie Donald Trump gerade ein Gebäude verkauft hätte, lachte sie und sagte, sie hätte jemanden getroffen, den sie früher mal als Kind betreut hatte, und er hätte es wirklich geschafft. Ihrer Einschätzung nach hatte er nicht nur überlebt, sondern führte jetzt auch ein ganz normales, gutes Leben.«
    »Hat sie erwähnt, um wen es sich dabei

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