Bestien
Blake war nur noch mit halber
Aufmerksamkeit bei der Sache, denn seine Gedanken kehrten
immer wieder zu dem zurück, was Harris ihm gesagt hatte.
Und er mußte an die Geräusche denken, die er seit zwei
Wochen jeden Morgen aus Marks Zimmer dringen hörte:
Marks Schnaufen und Grunzen, wenn er sich mit seinen
Liegestützen und Aufrichteübungen abmühte oder wenn er mit
Blakes Hanteln arbeitete.
Wenn es wirklich eine Möglichkeit gab, ihm zu helfen …
Es war kurz nach halb elf, als Linda und Mark das kleine Cafe
neben der Drogerie verließen und sich auf den Heimweg
machten. Sie hatten noch Zeit genug, daß Mark Linda nach
Haus begleiten konnte, ohne seine Elf-Uhr-Sperrstunde zu
überschreiten, aber sie hielten sich nicht auf. Ein Wind war
aufgekommen, und Mark schlug seinen Kragen auf, als die
Nachtkälte seine Gesichtshaut prickeln machte.
»Ich kann mir trotzdem nicht denken, daß Jeff eine Wut auf
dich hat«, hörte er Linda sagen. Sie steckte die Hand in seine
Jackentasche und ihre Finger durch die seinigen. »Oder hat er
was gesagt?«
»Dazu hatte er keine Zeit«, sagte Mark, nicht zum
erstenmal. »Er lief. Aber ich sage dir, sein Gesichtsausdruck
jagte mir Angst ein. Warte doch noch bis Montag, wenn ich
den Film entwickle. Dann kannst du selbst sehen.«
Sie bogen von der Colorado Street ab. Hier machte sich die
Dunkelheit stärker bemerkbar, weil die Lichtmasten weiter
auseinander standen und die Straße nur in ihrem unmittelbaren
Umkreis beschienen. Mark blickte unwillkürlich umher, kam
sich dann aber albern vor. Dies war Silverdale, sagte er sich im
Weitergehen, nicht San Francisco oder auch nur San Marcos.
Doch als sie ein Stück gegangen waren, trat ein Stück voraus
eine Gestalt hinter einem Busch hervor.
Linda und Mark hielten an, erschrocken, aber noch nicht
ängstlich.
Die Gestalt kam langsam auf sie zu.
»H-hallo«, sagte Mark.
Die ragende Gestalt blieb stumm, aber im selben
Augenblick sahen Linda und Mark, wer es war.
»Jeff?« sagte Linda. »Was tust du hier?«
Auch diesmal gab es keine Antwort, dann kamen sie in den
Lichtschein einer der Straßenlaternen, und die beiden konnten
Jeffs Gesicht genauer sehen.
Seine Augen blickten stier und glasig, seine derben Züge
wutverzerrt. Die großen Hände, halb angehoben, öffneten und
schlossen sich wie Hummerscheren.
»Großer Gott«, flüsterte Mark. »Nichts wie weg von hier.«
Linda und Mark machten kehrt und rannten Seite an Seite
zurück zur Colorado Street und ihrer helleren Beleuchtung.
Dort würden Leute sein
– andere Schüler, die auf dem
Heimweg vom Cafe waren, und das Publikum aus dem Kino
gegenüber.
Mark begann zu schnaufen, als er rannte, und sein Herz
schlug ihm im Halse. Linda konnte mit ihm Schritt halten, aber
Jeff, dessen schwere Tritte er hinter sich hören konnte, holte
mit jeder Sekunde auf.
Nur noch ein Block, dann ein halber …
Es war zu weit. Plötzlich prallte Jeff von hinten auf ihn. Er
ließ Lindas Hand los und rief ihr zu, sie solle weiterlaufen,
dann konnte er sich nicht länger auf den Beinen halten und fiel,
von rückwärts gestoßen, im vollen Lauf mit vorgestreckten
Armen zu Boden.
10
» HÖR AUF !« KREISCHTE LINDA HARRIS . »Jeff, bist du verrückt?«
Mark lag mit dem Gesicht am Boden, und Jeff LaConner
saß rittlings auf ihm und bearbeitete den kleineren Jungen mit
den Fäusten. Wieder schrie sie Jeff an, und als er sie nicht
einmal zu hören schien, versuchte sie ihn von Mark
wegzuziehen. Einer von Jeffs Armen holte aus und traf ihren
Brustkorb. Der Schlag warf sie auf den Gehsteig, dann rappelte
sie sich nach Luft schnappend auf. Tränen brannten ihr in den
Augen, als sie keuchend weiterlief und in die Colorado Street
bog. »Hilfe!« rief sie, aber ihre Stimme war nicht mehr als ein
heiseres Keuchen. Sie hielt an, lehnte sich gegen den Mast
einer Straßenlaterne und schnappte nach Luft. Dann wiederholte sie ihren Ruf: »Hilfe! Hilfe!«
Sie sah drei Jungen aus dem Cafe kommen und winkte
ihnen verzweifelt. Ein paar Herzschläge lang hatte es den
Anschein, als wollten sie sich in die andere Richtung wenden,
dann aber sahen oder hörten sie sie, und Sekunden später
kamen ihr Bruder und zwei seiner Freunde gelaufen.
»Da vorn«, rief sie mit überschnappender Stimme und
zeigte in die Dunkelheit der Seitenstraße. »Es ist Jeff! Er ist
verrückt geworden! Er schlägt Mark zusammen!«
Robb Harris starrte seine Schwester verständnislos an, bis
ihm plötzlich wieder das Bild vor Augen stand, wie Jeff auf
dem
Weitere Kostenlose Bücher