Bestien
spät anrufen muß.«
Alle Spuren von Schläfrigkeit waren augenblicklich aus der
Stimme des Arztes verschwunden. »Was gibt es? Ist etwas
geschehen?«
Kennally redete fünf Minuten und konsultierte sogar seinen
Notizblock, um sicher zu sein, daß er keine Einzelheit vergaß.
»Ich habe Jenkins bereits Anweisung gegeben, den LaConnerJungen zu Ihnen zu bringen, wenn wir ihn finden. Ich kann die
Weisung rückgängig machen, wenn Sie es für richtig halten.«
»Nein«, sagte Dr. Ames sofort. »Sie haben es richtig
gemacht. Ich werde ein paar Leute in Bereitschaft halten und
bitte Sie, mich auf dem laufenden zu halten. Und noch etwas
…«
»Ja?«
»Seien Sie vorsichtig«, sagte Ames. »Nach Ihren Worten
hört es sich wie ein zweiter Fall Randy Stevens an. Und wenn
es sich so verhält, sollte Jeff LaConner als sehr gefährlich
betrachtet werden.«
Kennally schwieg einen Augenblick, dann grunzte er und
hängte ein. Glaubte Ames wirklich, er erzähle ihm etwas, was
er nicht schon wußte?
Noch heute, annähernd ein Jahr, nachdem es geschehen war,
konnte er sich gut der Nacht erinnern, als Randy Stevens
durchgedreht war. Es war ein ruhiger Abend in Silverdale
gewesen, jedenfalls bis um elf Uhr, als Kennally einen Anruf
von den Nachbarn der Familie Stevens erhalten hatte, die von
Ruhestörung gesprochen hatten. Kennally hatte das einigermaßen seltsam gefunden, da die Stevens in den zwei Jahren
ihres Aufenthalts in Silverdale stets musterhafte Bürger
gewesen waren. Und Randy war ein Junge gewesen, den
andere Eltern in Silverdale ihren eigenen Kindern stets als
Vorbild hinstellten. Gutaussehend, höflich, ein ausgezeichneter
Schüler – und obendrein war Randy der Star der Footballmannschaft gewesen.
Und niemals hatte er seinen Eltern oder sonst jemandem
auch nur geringste Schwierigkeiten bereitet.
Aber in jener Nacht war in Randy etwas zerbrochen, und als
Kennally bei den Stevens’ eingetroffen war, hatte sich bereits
eine kleine Schar besorgter und ängstlicher Nachbarn um das
Haus versammelt.
Im Inneren des Hauses hatte allem Anschein nach ein
schwerer Kampf stattgefunden.
Als Kennally die Tür aufgebrochen hatte, war er im
Wohnzimmer als erstes auf Phyllis Stevens gestoßen, die mit
blutendem Gesicht schluchzend auf dem Sofa gelegen hatte.
Und am Boden des völlig verwüsteten Arbeitszimmers hatten
sich Tom Stevens und Randy im Ringkampf gewälzt. Bloß war
es eigentlich kein Ringkampf gewesen, denn Tom hatte auf
dem Rücken gelegen und alle Hände voll zu tun gehabt, einen
Hagel wütender Schläge abzuwehren, mit denen sein rittlings
auf ihm sitzender Junge ihn erbarmungslos eingedeckt hatte.
Kennally hatte sofort gespürt, daß dies kein einfacher Streit
gewesen war, kein Wortwechsel zwischen Vater und Sohn, der
in Handgreiflichkeiten ausgeartet war. Denn in Randys Augen
war ein Blick gewesen, eine kalte Leere, die Kennally verraten
hatte, daß dem Jungen nicht einmal bewußt war, was er tat.
Der Junge hatte den Verstand verloren und einfach blindlings auf jeden eingeschlagen, der zur Hand war.
Drei Männer waren erforderlich gewesen, den jungen
Burschen zu überwältigen, und als man ihn aus dem Haus
gebracht hatte, war er auf eine Bahre geschnallt gewesen. Auf
Tom Stevens’ Bitte hatte man Randy zum Sportmedizinischen
Zentrum gebracht und in Dr. Ames’ Obhut gegeben. Schon am
nächsten oder übernächsten Tag war Randy dann in die
Heilanstalt Canon City verlegt worden.
Obwohl so etwas in Silverdale nie zuvor geschehen war,
hatte Marty Ames erklärt, daß es nicht völlig ungewöhnlich sei.
Randy sei schließlich immer zu vollkommen gewesen und habe
jede Erwartung seiner Eltern erfüllt. Diese Erwartungen aber
hätten einen Druck erzeugt, und Randy habe sich nie gestattet,
diesem Druck Luft zu machen. Und so habe er sich schließlich
gegen seine Eltern gewandt, als es zum Zusammenbruch seiner
emotionalen Struktur gekommen sei.
Er habe versucht, sie zu töten.
Und beinahe war es ihm gelungen.
Kennally konnte nur zu deutlich die Parallelen zwischen
Randy Stevens und Jeff LaConner sehen.
Leistungskanonen, alle beide.
Keiner von ihnen hatte je Schwierigkeiten gemacht, keiner
von ihnen hatte je Anzeichen gezeigt, daß er Probleme hatte.
Als Randy den Druck schließlich nicht mehr ausgehalten
hatte, war er nahe daran gewesen, seinen eigenen Vater zu
töten.
Hätte Jeff heute abend Mark Tanner totgeschlagen, wenn
die anderen Jungen nicht dazwischengekommen wären?
Kennally wußte es nicht, aber er befürchtete,
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