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Bestien

Bestien

Titel: Bestien Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Saul
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sie schmerzen überhaupt nicht mehr.«
Sharon starrte ihn fast eine volle Minute lang an. Er sah
besser aus, als sie es für möglich gehalten hätte.
Erst eine halbe Stunde später, als sie auf der Heimfahrt
durch den Ort waren, kam ihr ein plötzlicher Gedanke in den
Sinn.
Nach seinem Vormittag im Sportmedizinischen Zentrum
war Mark beinahe wie die Stadt selbst.
Vollkommen.
Zu vollkommen.
15
    » ES SPIELT KEINE ROLLE , was du dachtest oder was Jerry Harris
dir sagte«, erklärte Sharon. »Ich bin deine Frau und ich bin
Marks Mutter. Du hattest kein Recht, eine Entscheidung über
Mark zu treffen, ohne mich auch nur davon zu unterrichten!«
    Sie waren in dem kleinen Salon im Obergeschoß. Im Kamin
war das Feuer, das Blake angezündet hatte, als sie vor einer
Stunde heraufgekommen waren, beinahe niedergebrannt. Am
Nachmittag war eine Kaltfront aus dem Norden durchgezogen,
und draußen schneite es. Aber Sharon beachtete weder den
Schneefall noch das Kaminfeuer; ihr zorniger Blick fixierte
ihren Mann. »Verstehst du überhaupt, was ich sage?«
    Blake zuckte überdrüssig mit der Schulter. Er hatte das
Gefühl, daß der Streit sich längst im Kreis drehte, wiederholte
aber noch einmal, was er ihr schon dreimal gesagt hatte: »Du
hast bereits zugegeben, daß ihm draußen im Zentrum nichts
Schreckliches zugestoßen ist. Tatsächlich sieht der Junge, zieht
man alles in Betracht, sehr gut aus. Und du warst heute früh
erschöpft – du hattest die ganze Nacht nicht geschlafen und
hättest nicht logisch gedacht.«
    »Trotzdem wäre es deine Pflicht gewesen …«
»Genug!« sagte Blake. Er war im Raum auf und ab
gegangen und schließlich am Fenster stehengeblieben, um die
herabschwebenden Schneeflocken zu betrachten. Als er sich zu
ihr umwandte, machte sein Gesichtsausdruck klar, daß er mit
seiner Geduld am Ende war. »In Gottes Namen, Sharon, ich
hatte die besten Absichten. Es ist nicht so, als hätte ich
versucht, irgend etwas Schreckliches zu tun! Jerry schlug
lediglich vor, daß ich den Jungen von Ames untersuchen lassen
solle, und es hörte sich wie eine gute Idee an! Wenn ich falsch
handelte, war es ein Irrtum, und ich entschuldige mich. Aber es
war nicht falsch!«
»Kannst du nicht leiser sprechen?« fragte Sharon in einem
rauhen Flüsterton. »Schließlich braucht nicht die ganze Nachbarschaft zu wissen, daß wir Streit haben, nicht?«
Es war ein Fehler. Sharon wußte es, sobald sie die Worte
ausgesprochen hatte. Blake biß die Kiefer zusammen, und
seine Augen funkelten zornig. »Nein«, sagte er, »das braucht
sie gewiß nicht. Wir brauchen überhaupt nicht zu streiten. Bis
später.«
Ehe Sharon etwas erwidern konnte, war er fort. Sie hörte ihn
die Treppe hinunterstampfen, dann schlug die Haustür zu. Aus
dem Erkerfenster sah sie ihn fortgehen, die Schultern eingezogen, den Kopf gebeugt. Er ging schnell, und sie glaubte zu
wissen, wohin er wollte.
Zu den Harris’, wo Jerry ihm versichern würde, daß er
selbstverständlich das einzig Richtige getan habe, was immer
seine Frau davon halten mochte.
Sie wandte sich vom Fenster und legte ein Scheit ins Feuer,
als könnte die Geste den Streit abschließen. Sie war nicht fair,
schalt sie sich. Wenn Jerry glaubte, daß Blake unrecht gehandelt habe, würde er nicht zögern, es zu sagen.
Sie zog die Beine auf den kleinen, mit Chintz bezogenen
Sessel vor dem Kamin und versuchte, ihre Gedanken vernünftig zu ordnen und die Verärgerung, daß Blake ihr nichts von
Marks Verlegung zu Dr. Ames gesagt hatte, zu unterdrücken.
Insgesamt mußte sie einräumen, daß Blake recht hatte – der
Arzt hatte Mark gewiß keinen Schaden zugefügt; im Gegenteil,
allem Anschein nach hatte er nur zu seiner Genesung beigetragen.
Und nach dem, was Mark auf der Heimfahrt gesagt hatte,
hatte Ames wirklich nicht allzuviel getan. Im Rückblick mußte
sie sogar über Marks Hilflosigkeit schmunzeln, als sie auf
genaue Einzelheiten des Geschehens in der Sportklinik gedrungen hatte.
Geradesogut hätte sie Kelly fragen können, was an einem
beliebigen Tag in der Schule geschehen sei.
»Nichts«, war die unweigerliche Antwort ihrer Tochter.
Ganz ähnlich war Marks Reaktion gewesen, und als sie sich
damit nicht hatte abfinden wollen, war er ungeduldig
geworden, und des Heranwachsenden Verachtung für übertriebene und als lästig empfundene mütterliche Sorge war klar
in seinen Augen gewesen.
»Ich sage dir doch, Mama, überhaupt nichts ist geschehen«,
beharrte er. »Dr. Ames untersuchte mich und

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