Bestien
Teil der
anfallenden Routinearbeit der Tag- und der Nachtschwester.
In einer Weise half Maria dadurch auch ihrem Sohn, denn
das entlastete Personal hatte die Gewohnheit angenommen,
mehrmals am Tag in Ricardos Krankenzimmer zu kommen,
manchmal nur ein paar Minuten an seinem Bett zu stehen, in
seiner stummen Gegenwart Gespräche zu führen oder auch zu
ihm zu sprechen, obwohl sie alle überzeugt waren, daß er von
ihrer Anwesenheit nichts wußte. Mickey Esposito, der tagsüber
diensttuende Pfleger, dessen Pflichten Maria, soweit sie ihren
Sohn betrafen, ohne Aufhebens usurpiert hatte, war dazu
übergegangen, ein Buch mitzubringen und der bewegungslos
im Stryker-Rahmen liegenden Gestalt jeden Tag daraus
vorzulesen. Als Dr. MacCallum ihn das erste Mal bei dieser
Beschäftigung überrascht hatte, hatte der Pfleger schuldbewußt
sein Buch zugeklappt, aber der Arzt hatte ihn aufgefordert
weiterzumachen. »Keiner von uns weiß, was in ihm vorgeht«,
hatte er erklärt. »Wir glauben nicht, daß er uns hören kann,
aber wir wissen es nicht. Und wenn er kann, muß er Ihnen ewig
dankbar sein.«
So war Ricardos Krankenzimmer zu einer Art Treffpunkt
geworden. Das Personal versammelte sich während der
Arbeitspausen nicht mehr um den Resopaltisch in der kleinen
Küche der Station, sondern um Ricardos Bett. Und es erschien
Susan ganz natürlich, daß sie nun, da sie gerade nichts zu tun
hatte, durch den Korridor ging, um einen Blick in Ricardos
Zimmer zu tun. Wie es ihre Gewohnheit war, überprüfte sie mit
einem schnellen Blick die Monitore über seinem Bett, und
diesmal stutzte sie. Sein Herzschlag, sonst immer vollkommen
gleichmäßig, fluktuierte heftig, und seine Augen, die seit dem
Augenblick, als man ihn eingeliefert hatte, geschlossen und
still geblieben waren, bewegten sich krampfartig hinter den
geschlossenen Lidern.
Noch als sie ungläubig auf die Anzeigen starrte, ertönte
außerhalb des Zimmers ein Alarmsignal, und innerhalb
weniger Sekunden erschien Dr. MacCallum, gefolgt von zwei
Pflegern und Maria Ramirez.
»Was gibt es?« fragte Maria mit ängstlicher Stimme. Ihr
Blick ging zu der leblosen Gestalt ihres Sohnes, und sofort
bemerkte sie seine Augenbewegungen und keuchte: »Er wacht
auf!«
Sie eilte zum Bett und beugte sich über ihren Sohn, während
MacCallum Anweisung gab, zusätzliches Hilfsgerät herbeizuschaffen. Maria blickte auf, und Angst verdrängte den
hoffnungsvollen Ausdruck in ihren Augen. »Was gibt es?«
fragte sie. »Ist er in Gefahr?«
MacCallum nickte knapp. »Er geht in den Herzstillstand.«
Ihre Augen weiteten sich, ihr Gesicht erbleichte. Dann sah
sie wieder in Ricks Gesicht, und plötzlich zwinkerten seine
Augen, öffneten sich einen Spalt breit, und sein Mund begann
zu arbeiten. Ein Geräusch – schwach und heiser – röchelte in
seiner Kehle. Maria beugte sich näher, umschloß seine Hand
mit ihren Händen. »Ich bin bei dir, Ricardo. Es wird gut
ausgehen!«
Ricardo zwinkerte deutlicher, und wieder bewegten sich
seine Lippen. Maria berührte sie mit ihrem Ohr. Als ein Pfleger
mit einem Karren herbeigeeilt kam, der das Gerät zur
Anwendung von Elektroschocks trug, glaubte sie ihren Sohn
ein einziges Wort hauchen zu hören.
»Leb wohl …«
Sie konnte nicht sicher sein, daß sie das Wort überhaupt
gehört hatte, aber dann, als MacCallum sie beiseite schob, um
das Nachthemd von Ricardos Brust zu reißen und
die
Elektroden gegen seine Haut zu drücken, traf sie ihre
Entscheidung.
»Nein!« sagte sie mit einer Schärfe, die keiner der Anwesenden je aus dem Munde dieser sanftmütigen Frau gehört
hatte.
Alle hielten inne und starrten sie an.
»Aber er wird …«, fing MacCallum an. Er brach ab, als
Maria nickte.
»Er wird sterben«, sagte sie. »Ich weiß es. Er weiß es. Wir
müssen ihn gehen lassen.«.
Susan Aldrich schnaufte, und MacCallum sah hilflos von
Maria zu den Monitoren. Ricardos Blutdruck sank rasch, sein
Herzschlag kam nur noch stoßweise. »Ist es Ihr fester Wille?«
fragte er.
Maria zögerte nur den Bruchteil einer Sekunde. Ihre Augen
schwammen in Tränen, aber sie nickte. »Wir müssen ihn gehen
lassen. Er hat mir Lebewohl gesagt, und so muß ich ihm
Lebewohl sagen.« Dann, während die anderen schweigend
zusahen, beugte sie sich über den Jungen und küßte ihm
behutsam die Lippen.
Susan Aldrich nahm eine Hand des Jungen, und Mickey
Esposito nahm die andere. Dr. MacCallum legte dem Jungen
eine Hand auf die Stirn. Obwohl alle wußten, daß Ricardo jeder
Art von
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