Bestien
hellichten Vormittag von der Arbeit heimgekommen
war. Vielleicht war er in Wirklichkeit gar nicht hier.
Sie schüttelte benommen den Kopf. »Eine Tasche packen?
Jetzt?«
Chuck nickte. »So ist es«, sagte er. »Ich muß weg.«
»Aber ich verstehe nicht.«
»Du erinnerst dich, Liebling, ich werde versetzt«, sagte
Chuck. »Ich komme nach Boston.«
Ihre Hände flatterten in einer hilflosen Geste. »Aber ich
dachte – ich dachte, wir würden noch auf Jeff warten …«
»Das geht nicht, Charlotte«, erwiderte Chuck. »Ich muß
jetzt gehen. Heute. Ein Hubschrauber wartet auf mich.«
Charlotte seufzte erleichtert. Dann war es in Ordnung. Er
verreiste, aber sie brauchte es nicht zu tun. Sie konnte
hierbleiben und warten, bis es Jeff besser ginge. »Vielleicht
fahre ich nach Boulder«, sagte sie. »Dann könnte ich näher bei
Jeff sein.« Die Finger ihrer rechten Hand bohrten sich in ihre
Linke, die Nägel – ungepflegt und abgebissen von der völlig
unbewußten Gewohnheit des Nägelkauens, die sie
angenommen hatte, wenn sie dasaß und geistesabwesend ins
Leere starrte – gruben sich in die Haut und hinterließen rote
Druckspuren.
Aber Chuck schüttelte den Kopf. »Es tut mir leid,
Charlotte«, sagte er mit leiser Stimme. Er konnte sie nicht
ansehen, brachte es nicht über sich, den Schmerz in ihrem
Gesicht zu beobachten, als er ihr sagte, was mit ihr geschehen
würde. »Du wirst für eine Weile ins Krankenhaus müssen. Ich
habe mit Jerry Harris und Dr. Ames darüber gesprochen, und
wir alle stimmen darin überein, daß du ausruhen mußt. Eine
Zeitlang, um dich dem anzupassen, was geschehen ist, und
über diese paranoiden Vorstellungen hinwegzukommen.«
Charlotte schrak zurück, als wäre sie geschlagen worden.
»Nein«, wimmerte sie, »das kannst du mir nicht antun! Ich bin
deine Frau, Chuck …«
»Sei vernünftig, Liebling«, bat Chuck, aber Charlotte hörte
nicht mehr auf ihn. Sie wich ihm aus, stürmte aus dem Zimmer
und hastete die Treppe hinauf zum Obergeschoß, wo sie ins
Schlafzimmer lief und die Tür hinter sich zusperrte.
Sie war jetzt in Panik. Man wollte sie wegbringen und
einsperren, genauso wie man Jeff weggebracht hatte. Aber
warum? Was hatte sie getan? Sie hatte nur ihren Sohn sehen,
zu ihm sprechen, ihm sagen wollen, daß sie ihn liebte.
Aber das ließen sie nicht zu!
Warum nicht?
Sie wußte es jetzt. Es war ihr plötzlich klar; sie hätte es
längst erkennen sollen! Sie belogen sie, hatten sie von Anfang
an belogen. Jeff war überhaupt nicht in einer privaten
Heilanstalt, nicht in Boulder noch sonstwo. Sie hatten
ihn
irgendwo eingesperrt, wo weder sie noch sonst jemand ihn
sehen konnte. Er war nicht krank! Er wurde irgendwo
gefangengehalten.
Hilfe! Sie mußte Hilfe finden, bevor es zu spät wäre. Sie
scharrte in der Nachttischschublade herum, wo sie das Stück
Papier mit Sharon Tanners Telefonnummer versteckt hatte.
Endlich fand sie es, dann fummelte sie mit dem Telefon, als
ihre zitternden Finger sich weigerten, ihrem aufgewühlten
Verstand zu gehorchen. In diesem Augenblick, als sie sich
verzweifelt bemühte, die Nummer zu wählen, hätte sie
aufblicken und aus dem Fenster sehen können; hätte den
Krankenwagen sehen können, der sich dem Haus näherte und
in die Einfahrt bog. Aber sie blickte nicht hinaus, sah nicht,
hatte keine Zeit, aus dem Haus zu fliehen.
Endlich fanden ihre Finger die richtigen Knöpfe, und sie
wartete in Panik, während das Telefon am anderen Ende
viermal, fünfmal, dann sechsmal läutete. Was sollte sie tun,
wenn Sharon nicht zu Haus war? Was …
Dann hörte sie zu ihrer Erleichterung eine atemlose Stimme
am anderen Ende.
»Sharon?« sagte sie. »Sharon, Sie müssen mir helfen. Sie
wollen mich wegschicken. Sie haben etwas Schreckliches mit
Jeff gemacht und wollen nicht, daß ich es herausbringe …«
»Charlotte?« unterbrach Sharon Tanners Stimme ihren
verzweifelten Wortschwall. »Charlotte, was ist geschehen? Ich
verstehe nicht, was Sie sagen wollen.«
Charlotte zwang sich zur Ruhe, unterdrückte ihr Zittern mit
einer Willensanstrengung. Sie konzentrierte ihre Gedanken,
holte tief Luft und wollte wieder anfangen, als sie Schläge an
der Schlafzimmertür hörte.
»Charlotte?« Es war Chucks Stimme. »Charlotte, du mußt
mich einlassen.« Dann hörte sie Chuck zu jemand anders
sprechen, und ihre mühsam hergestellte Ruhe fiel wie ein
Kartenhaus in sich zusammen.
»O Gott«, wimmerte sie. »Sharon, sie sind hier! Sie
kommen mich holen, Sharon! Was soll ich tun?«
Es gab
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