BETA (German Edition)
Komm in meine Arme! Die Sekunden dehnen sich. Ich versuche, zu ihm zu gelangen, aber ich schaffe es nicht. Ich habe das Gefühl zu sterben, wenn ich ihn nicht berühre. Es zieht mich mit solcher Macht zu ihm hin, dass ich nicht widerstehen kann. Ich will mich unbedingt an ihn schmiegen. Meine Gefühle überwältigen mich.
Aber sein Gesicht und sein Körper verschwinden, als ich noch tiefer in das Wasser hinuntersinke. Ich stemme mich gegen den Sog in die Tiefe, komme wieder zu mir und stoße mich mit kräftigen Bewegungen hoch, dem Licht entgegen. Mein Kopf taucht aus dem Wasser auf. Über mir auf dem Felsen winkt Greer mir zu. Sie breitet die Arme zu einem Siegeszeichen aus. »Perfekter Sprung!«, brüllt sie mir zu. »Unglaublich!«
Ich weiß jetzt ganz sicher, dass meine First eine Schwimmerin und Turmspringerin war. Und ich weiß auch, dass ich soeben unter Wasser etwas gefühlt habe – erneut gefühlt habe, nur diesmal noch intensiver –, was keine Teen-Beta oder überhaupt irgendein Klon fühlen dürfte.
Ich kann nicht nur schmecken und mag deshalb Makkaroni mit Käse. Ich habe noch viel stärkere Gefühle und etwas, das ein Klon niemals, niemals haben dürfte.
Erinnerungen.
Der Mann, den ich soeben gesehen habe, gehörte zu meiner First. Sie empfand große Freude, wenn sie mit ihm unter Wasser war. Wenn sie neben ihm schwamm, war sie glücklich. Mit ihm erlebte sie die glücklichsten Momente ihres Lebens. Sie liebte ihn. Liebte ihn leidenschaftlich. Auch verzweifelt. Er war ihre große Liebe. Ich weiß nicht, wie oder woher ich das weiß. Aber ich weiß, dass es wahr ist. Ich spüre, dass es wahr sein muss.
»Ihr hättet das sehen sollen«, erzählt Greer begeistert Farzad, Ivan und Demenzia, die wieder zu sich gekommen sind. »Ihre First war eine Turmspringerin, ganz klar.«
Die anderen sind immer noch nicht ganz von ihrem Raxia runtergekommen. Von Greers Begeisterung lassen sie sich nicht anstecken.
»Hilf mir mal, das wieder anzuziehen«, bittet mich die noch ganz schläfrige Demenzia. Sie hält mir die Bändchen ihres Bikinioberteils hin, damit ich sie ihr hinter dem Hals verknote. Mir ist von dem Sprung vom Felsen, gefolgt von dem Kampf mit der Brandung, um zurück in die kleine Bucht des Hidden Beach zu gelangen, noch ganz benommen zumute. Und natürlich von der Erinnerung, die mir wie ein Blitz durch den Schädel gefahren ist. Mit steifen Fingern befestige ich das Bikinioberteil.
Ob ich wohl Mutter darum bitten kann, mir für weitere Sprünge vom Felsen einen Badeanzug zu besorgen? Astrids Sport-Zweiteiler hätten mir die Wellen beinahe heruntergerissen.
»Hast du überhaupt zugehört, Demenzia?«, fragt Greer. »Du musst unbedingt sehen, was diese Beta alles kann.«
»Wir hatten auch einmal einen Beta«, murmelt Farzad mit glasigen Augen. »Dr. Lusardi nannte ihn einen Landschaftskünstler, aber das ist nur eine freundliche Umschreibung für Gärtner. Der Typ ist irgendwann total ausgetickt und hat angefangen, unsere Bäume und Hecken so zu beschneiden, dass sie alle die Form von Penissen und Brüsten hatten.«
»Klingt für mich nach einem Super-Beta«, sagt Demenzia.
»Geil!«, sagt Farzad. »Das war er. Seither hüten wir uns davor, Produkte zu kaufen, die noch nicht völlig ausgetestet sind. Tahir hat gesagt, wenn er über unser Anwesen geflogen ist, hätte es ausgesehen wie ein großer obszöner Lustgarten.« Auf einmal leuchtet Farzads Gesicht auf. Er wirkt erst jetzt richtig wach. »Hey! Das hab ich ja ganz vergessen, euch zu sagen. Tahir kommt nächste Woche zurück.«
»Wer ist Tahir?«, frage ich.
»Farzads Cousin«, antwortet Ivan.
»Tahirs Vater – Farzads Onkel – ist praktisch der reichste Mann der Welt«, sagt Demenzia.
»Er kann nicht nur Wasser in Wein verwandeln, sondern auch Wasser in … noch mehr Wasser«, fügt Ivan hinzu.
»Wie geht es Tahir denn?«, fragt Greer.
»Keine Ahnung«, sagt Farzad. »Er schickt mir Relays, dass es ihm schon viel besser geht, aber auf mich wirkt es nicht so. Seit dem Unfall ist er ein völlig anderer Mensch. Irgendwie weggetreten. Ich hab das Gefühl, dass seine Verletzungen viel schlimmer waren, als die Ärzte das zugeben wollten.«
»Was für ein Unfall?«, frage ich.
Alle vier deuten auf die Giganten am Horizont. »Surfunfall«, sagt Greer. »Tahir ist in eine starke Strömung geraten, die ihn runtergezogen hat. Er hat dabei ein schweres Schleuder- und Schädel-Hirn-Trauma erlitten. Nur weil der Hovercopter seines Vaters,
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