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Beton

Beton

Titel: Beton
Autoren: Thomas Bernhard
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sich, wie alle diese Leute, Baron nennt, bewohnt wird, von einem alten Kauz also. Ich ging nicht deshalb hin, weil mich der Mann besonders interessierte, sondern weil er dervon mir aus am schnellsten und leichtesten zu erreichende war, absolut eine Menschenkuriosität, wenn ich ihn besuche, trinke ich eine Schale Tee und lasse mir seine Geschichten aus dem Ersten Weltkrieg erzählen, wie er auf dem Monte Cimone verwundet worden ist und wie er drei Monate im Spital in Triest gelegen ist und dann die goldene Tapferkeitsmedaille bekommen hat. Er erzählt im Grunde immer dieselbe Geschichte und er erzählt diese immergleiche Geschichte nicht nur mir, sondern allen, die ihn, wann immer, aufsuchen. Der Mann hat den Vorteil, daß er ausgezeichnet Tee kochen kann und daß er, obwohl er schon so alt ist, gegen fünfundachtzig, keinen üblen Mundgeruch hat, denn vor allem fürchte ich die Besuche bei alten Männern wegen ihres üblen Mundgeruchs. Überhaupt läßt sich der Mann, obwohl, wie gesagt, an die fünfundachtzig, nicht gehen und er sieht durchaus appetitlich aus. Er hat eine Haushälterin, die ihn versorgt, die er Muxi nennt, kein Mensch kann sagen, was das bedeutet und die sich, wenn man ihn aufsucht, in die Küche verzieht. Etwa jede halbe Stunde steckt sie ihren Kopf bei der Tür herein und fragt, ob der Alte etwas will. Nein Muxi, sagt der Alte jedesmal und wenn sie die Tür wieder zugemacht hat, beugt er sich zu einem vor und sagt: sie ist dumm wie die Nacht! Es ist immer dasselbe. Ich ging, aus Verzweiflung, muß ich sagen und nur, um mich von dem absurden Gedanken, abzureisen, noch dazu nach Palma abzureisen, was wohl der absurdeste Gedanke überhaupt war in meiner Situation, zu dem Alten nach Niederkreut, ich nützte ihn ganz einfach in meiner fürchterlichen Lage aus, um es kurz zu sagen, er war mir gerade recht, mir mein Palma auszutreiben. Als ich den Glockenzug zog, hörte ich schon die Schritte der Haushälterin, die mir aufsperrte. Der Herr sei da. Ich trat ein. Ich störe doch hoffentlich nicht , sagte ich bei meinem Eintreten in sein Zimmer, in welchem ihm die Haushälterin gemütlich, höchst angenehm, eingeheizt hatte und ärgerte mich noch während ich diese Bemerkung machte, darüber, daßich gerade jene Bemerkung gemacht hatte, die immerfort von meiner Schwester mir gegenüber gemacht wird und die mich wie keine andere Bemerkung aufbringt, denn diese Bemerkung ist eine der verlogensten Bemerkungen, die es gibt. Der Herr war aufgestanden, hatte mir die Hand geschüttelt und sich mit mir wieder niedergesetzt. Ich bin gerade dabei, mir einen Tee zu kochen, sagte er. Er hatte ein Buch in der Hand. Jetzt ist die Zeit des Lesens, sagte er, ein unsinniges Buch, etwas über Marie-Louise, meine Schwester hat es mir geschickt, aber ich finde, es ist doch sehr abgeschmackt. Was die Leute alles zusammenschreiben, kümmern sich keinen Deut um die Fakten und woher nehmen sie überhaupt ihre Kompetenz! Ich hatte keine Lust, in dieser Richtung mit dem Alten ein Gespräch anzufangen, aber schon als ich mich hinsetzte, in Erwartung einer Schale Tee, beobachtete ich, wie ich mich bereits von meinem Reiseplan entfernte. So unmöglich ist es ja hier auch wieder nicht, sagte ich mir und betrachtete die Bilder an der Wand. Das ist mein Großvater, Feldmarschall und Oberbefehlshaber der ganzen adriatischen Südfront, sagte der Alte, aber das habe ich sicher schon Hunderte Male gesagt, während die Haushälterin das Wasser hereinbrachte und wieder verschwand. Die Kriege werden ja heute ganz anders geführt, sagte er. Von Grund auf anders. Alles ist heute anders. Er hob den Teekannendeckel und rührte um und sagte: Es ist alles um alle Grade herumgedreht. Diesen Ausdruck verwendete er immer, kaum ist man mit ihm beisammen, findet er eine Überleitung zu der Bemerkung: es ist alles um alle Grade herumgedreht . Es gibt nur noch dreizehn Lebende, die die goldene Tapferkeitsmedaille vom Kaiser persönlich bekommen haben. Nur noch dreizehn, stellen Sie sich vor. Zuerst habe er daran gedacht, seinen Besitz seiner in England lebenden Tochter zu vererben, aber er sei daraufgekommen, daß das Unsinn sei. Dann habe er gedacht, er werde seinen Besitz der Kirche vermachen. Die Kirche habe ihn aber enttäuscht und er wollte daraufhin diestaatliche Fürsorge beerben. Aber die staatliche Fürsorge, sagte er jetzt, ist auch eine Gemeinheit. Es gibt überhaupt keine Institution, der ich etwas hinterlassen will. Aber auch keinem Menschen,
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