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Beton

Beton

Titel: Beton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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Dummheit und die mit diesen beiden gemeinsame Sache machende Scharlatanerie beherrschen heute die Szene. Mein Wien wurde von geschmacklosen und geldgierigen Politikern von Grund auf ruiniert, es ist nicht mehr wiederzuerkennen. An manchen Tagen weht noch die frühere Luft, aber nur kurze Zeit, dann deckt der Abschaum, der sich in dieser Stadt in den letzten Jahren breitgemacht hat, wieder alles zu. Die Kunst ist in dieser Stadt nurmehr noch eine ekelerregende Farce, die Musik ein abgeleierter Leierkasten, die Literatur ein Alptraum und von der Philosophie will ich gar nicht reden, da fehlen selbst mir, der ich nicht zu den allerphantasielosesten gehöre, die Wörter. Lange Zeit hatte ich gedacht, Wien ist meine Stadt, sogar, daß es mir Heimat ist, aber jetzt muß ich doch sagen, ich bin doch nicht in einer von den Pseudosozialisten bis an den Rand mit ihrem Unrat angefüllten Kloake zuhause. Auch ist mein Interesse, praktisch Musik zu hören, nicht mehr das von früher, ich lese lieber allein für mich meine Partituren, ist dieses Vergnügen auch ungemein kostspieliger. Aber was bieten diese Konzerte im Musikverein und im Konzerthaus heute schon? Die großartigen Kapellmeister von früher, haben sich in plumpe sensationshaschende Dompteure verwandelt und die Orchester sind unter diesen Dompteuren schwachsinnig geworden. Die Museen habe ich alle gesehen und das Theater ist das staubigste in ganz Europa. Das Burgtheater ist heute doch nichts anderes als eine geschmacklose, wenn auch unfreiwillige Parodie aufdas Theater überhaupt, in welcher alles, was mit Geist zu tun hat, fehlt; Provinzialismus, Farce. Ganz zu schweigen von den andern Theatern, deren tagtäglicher Dilettantismus gerade für die neue, durch und durch abgeschmackte Gesellschaft recht ist. Und natürlich wäre es mir unerträglich, mit meiner Schwester unter einem Dach zu hausen, das hat sich ja gerade wie sie jetzt in Peiskam gewesen ist, gezeigt. Sie machte mir, ich machte ihr die Hölle, einer brächte den andern in der kürzesten Zeit um. Wir haben nie unter einem Dach zusammenleben können. Aber es ist ja durchaus möglich, daß meine Schwester in bestem Sinne an mich und an mein Weiterkommen gedacht hat, als sie mich zu sich in ihre Wiener Wohnung einlud, was ich aber letztenendes doch wieder nicht zu glauben imstande bin, weil ich sie kenne. Andererseits, sagte ich mir, bin ich nicht neugierig genug, nur deswegen nach Wien zu fahren, um ihre neue Wohnung zu inspizieren, in welcher sich wahrscheinlich eine Kostbarkeit an die andere reiht und das durchaus nicht geschmack los , im Gegenteil, aber gerade das würde mich zur Weißglut bringen. Schau mein kleiner Bruder, diese Vase ist aus Oberägypten, ich höre sie, wie sie das sagt und darauf wartet, was ich dazu zu sagen habe, obwohl sie weiß, was ich darauf sagen werde. Wir sind intelligente Geschwister, die ihre Intelligenz in viereinhalb Jahrzehnten sehr weit und sehr gut haben entwickeln können, ein jeder auf seine Weise, jeder in seine ihm eigene Richtung, ich in die meinige, sie in die ihrige bis heute. Nach Wien brauchte ich nur meine Reisetasche mitnehmen, denn an ein Arbeiten ist in Wien nicht zu denken. Jedenfalls nicht bei meiner Schwester. Aber auch nicht, wenn ich im Hotel wohne, denn Wien ist gegen meine Arbeit, ist immer gegen meine Arbeit gewesen, in Wien ist mir niemals eine Arbeit gelungen, viele Arbeiten habe ich in Wien angefangen, aber keine einzige zuende gebracht, was jedesmal einen fürchterlichen Beschämungseffekt in mir bewirkt hat. Einmal, vor fünfundzwanzig Jahren, habe ich in Wien etwas über Webernzuende schreiben können, es aber gleich, wie es fertig gewesen war, verbrannt, weil es mißlungen war. Wien hat sich immer lähmend ausgewirkt auf mich, auch wenn ich das niemals hatte wahrhaben wollen, es lähmte mich in allem und jedem. Und die Menschen, die ich in Wien kennengelernt habe, lähmten mich auch, von zwei, drei Ausnahmen abgesehen. Aber mein Paul Wittgenstein ist, an seiner Verrücktheit, wohlgemerkt, gestorben und meine Malerfreundin Joana hat sich aufgehängt. Wer nach Wien geht und in Wien bleibt und den Zeitpunkt übersieht, zu welchem er aus Wien wieder zu verschwinden hat, ist zum sinnlosen Opfer geworden für eine Stadt, die jedem Menschen alles wegnimmt und überhaupt nichts gibt; es gibt Städte, wie zum Beispiel London oder Madrid, die nehmen auch, aber nicht viel, und geben fast alles, Wien nimmt alles und gibt nichts, das ist der Unterschied.

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