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Beton

Beton

Titel: Beton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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wieder einmal der Schwache. Immer wieder spielte ich, auch wenn ich mich noch so dagegenwehrte, meine Rolle. Wie sie die ihrige. Während sie längst ihren Auftritt in Wien hat, warte ich auf meinen Auftritt in Palma. Tatsächlich war alles an uns auch theatralisch, es war die furchtbare Wirklichkeit, aber theatralisch. In meinem Fauteuil sitzend, den unaufhaltsamen Verfall an meinen Möbelstücken wie im ganzen Zimmer beobachtend, dachte ich mit Schaudern daran, mich jetzt noch den ganzen langen und wie ich weiß, sich bis in den Mai hinein wie in die Unendlichkeit hinziehenden Winter hier in Peiskam verbringen zu müssen, angewiesen auf die von mir so genannte Nachbarschaftshilfe, auf den Alten von Niederkreut beispielsweise, auf den Minister und derengleichen undsofort. Mich an allen diesen schon viele Jahre abgestandenen und stumpf und ja schon in Wahrheit jahrelang unerträglich gewordenen Leuten vorbei durch die nassen und kalten Nebelmonate, wie wir sagen, wursteln zu müssen. Dieser Gedanke legte sich jetzt um meinen Kopf wie ein Leichentuch. Mich allen diesen Leuten ausliefern zu müssen und gleichzeitig doch mit mir und meinem aufeinmal wieder bis in die letzten Winkel hinein hinterhältigen Peiskam allein zu sein. Mich von einem selbstgemachten Frühstück zum andern weiterekeln zu müssen, von einem selbstgemachten Nachtmahl zum andern, von einer Wetterenttäuschung zur andern. Die Zeitungen und ihren lokalpolitischen Dreck lesen zu müssen tagtäglich, ihren stumpfsinnigen Politik- und Wirtschafts- und Feuilletonistenschmutz. Mich diesen Zeitungen und ihren ekelerregenden Erzeugnissen nicht entziehen zu können, weil ich andererseits diesen Zeitungsschmutz so begierig in mich hineinfressen muß tagtäglich, wie wenn ich geradezu an einer perversen Zeitungsgefräßigkeit leiden würde. Mich überhaupt, obwohl ich den Willen dazu habe, tatsächlich den Überlebens willen, mich allen diesen öffentlichen und veröffentlichten Schmutzigkeiten nicht entziehen zu können, weil ich mich ihnen aus dieser Gefräßigkeit nach ihnen nicht entziehen kann, allen diesen perversenSchauermärchen vom Ballhausplatz, wo ein gemeingefährlich gewordener Kanzler seinen Ministeridioten ebenso gemeingefährliche Befehle gibt. Allen diesen haarsträubenden Parlamentsnachrichten, die tagtäglich meine Ohren kakophonieren und meinen Verstand beschmutzen und die in die christliche Heuchelei verpackt sind. Wir müssen so schnell als möglich einpacken und weggehen und dieses Chaos hinter uns lassen, sagte ich mir und ich beobachtete die Risse in den Mauern und in den Möbeln und stellte fest, daß die Fenster so schmutzig waren, daß ich nicht einmal mehr imstande war durchzublicken. Was tut die Kienesberger?, fragte ich mich. Gleichzeitig mußte ich mir sagen, wir stellen immer zu hohe Ansprüche an alles und jedes, alles ist uns zu wenig gründlich getan, alles ist uns nichts als unvollkommen, alles nur Versuch, nichts Vollendung. Meine krankhafte Sucht zur Perfektion war wieder einmal zum Vorschein gekommen. Daß wir immer das Höchste fordern, das Gründlichste, das Grundlegendste, das Außergewöhnlichste, wo es ja doch immer nur das Niedrigste und das Oberflächlichste und das Gewöhnlichste festzustellen gibt, macht tatsächlich krank. Es bringt den Menschen nicht weiter, es bringt ihn um. Wir sehen den Niedergang, wo wir den Aufstieg erwarten, wir sehen die Hoffnungslosigkeit, wo wir Hoffnung haben, das ist unser Fehler, unser Unglück. Wir fordern immer alles, wo naturgemäß nur wenig zu fordern ist, das deprimiert uns. Wir wollen diesen Menschen auf dem Gipfel sehen und er scheitert schon in den Niederungen, wir wollen tatsächlich alles erreichen und erreichen tatsächlich nichts. Und wir stellen naturgemäß an uns selbst die höchsten und die allerhöchsten Ansprüche und lassen dabei zur Gänze die Menschennatur außer acht, die ja für diese höchsten und allerhöchsten Ansprüche nicht geschaffen ist. Der Weltgeist überschätzt sozusagen den menschlichen. Wir scheitern ja auch immer, weil wir den Maßstab um ein paar hundert Prozent höher angesetzt haben, als uns angemessen. Und wir sehen, wennwir sehen, überall und wohin wir unseren Blick auch richten, nur Gescheiterte, die den Maßstab zu hoch angesetzt haben. Aber andererseits, denke ich, wohin kämen wir, wenn wir den Maßstab fortwährend zu niedrig ansetzten? Ich betrachtete meine Koffer, sozusagen den geistigen und den ungeistigen von meinem Fauteuil aus

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