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Beton

Beton

Titel: Beton Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Bernhard
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und hätte augenblicklich, wenn ich dazu im Moment die Kraft gehabt hätte, in ein schallendes Gelächter über mich ausbrechen können oder, ganz im Gegenteil, in Tränen. Ich war wieder einmal in meiner eigenen Komödie gefangen. Ich hatte das Ruder herumgedreht und es war wieder nur zum Lachen, oder zum Weinen, je nachdem, aber da ich weder lachen wollte, noch weinen, stand ich auf und kontrollierte, ob ich auch die richtigen Medikamente eingepackt habe, ich hatte sie in meinen rotgesprenkelten Medikamentensack gesteckt, ob ich genug Prednisolon und Sandolanid und Aldactone-Saltucin eingepackt habe, ich öffnete den Medikamentensack und schaute hinein und stülpte ihn auf dem Fenstertisch um. Meiner Rechnung nach muß ich mit dieser Menge an die vier Monate auskommen, habe ich mir gesagt und die Medikamente wieder in den Sack gesteckt. Es ekelt uns vor Chemie, sagte ich zu mir selbst, halblaut, wie ich mir das durch das viele Alleinsein angewöhnt habe, aber wir verdanken dieser wie nichts sonst auf der Welt verachteten Chemie immerhin unser Leben, unser Dasein, wir wären ohne diese verfluchte Chemie schon jahrzehntelang auf dem Friedhof oder wo immer hingeworfen, in jedem Fall nicht mehr auf der Erde. Nachdem die Chirurgen nichts mehr zum Schneiden haben an mir, bin ich vollkommen auf diese Medikamente angewiesen und ich danke jeden Tag der Schweiz und ihren Industrien am Genfer See, daß es sie gibt und durch sie mich, wie wahrscheinlich Millionen jeden Tag diesen wie keine andern heute von allen heruntergemachten Leuten in ihren Glaskästen nahe Vevey und Montreux ihr Dasein und ihre, wenn auch noch so kümmerliche Existenz verdanken. Da beinahe die ganzeMenschheit krank ist heute und auf Medikamente angewiesen, solle sie sich gefälligst darüber Gedanken machen, daß sie in dem allerhöchsten Maße ja nur noch ausschließlich von dieser Chemie existiert, die sie so verteufelt. Drei Jahrzehnte mindestens wäre ich nicht mehr da und ich hätte alles, das ich in diesen dreißig Jahren gesehen und erlebt habe, und im Grunde hänge ich an diesem Gesehenen und Erlebten mit meinem ganzen Herzen und mit meiner ganzen Seele, nicht gesehen und nicht erlebt. Aber der Mensch ist gerade darauf so angelegt, daß er am meisten verflucht, was ihn zusammen- und überhaupt am Leben hält. Er frißt die Tabletten, die ihn retten und marschiert alle Augenblicke in stumpfsinnigem Verdammungstrieb durch die heutigen verkommenen Großstädte, um gerade gegen diese ihn rettenden Tabletten zu demonstrieren, er tritt, so abgrundtief dumm ist er, fortwährend und natürlich fortwährend dazu von den Politikern und ihrer Presse aufgeputscht, großmaulig und in jedem Falle ohne auch nur einen Ansatz zum Denken, gegen seine Erhalter auf. Ich selbst verdanke der Chemie, wenn ich es in einem einzigen Satz sage, alles, seit dreißig Jahren alles. Mit dieser Feststellung verstaute ich meinen Medikamentensack, und zwar im sogenannten Geisteskoffer, nicht im Kleiderkoffer. Nicht im geringsten habe ich, dachte ich, mich wieder in den Fauteuil setzend, vor drei Tagen daran gedacht, Peiskam zu verlassen, ich haßte es und es drohte mich zu erdrücken und zu ersticken, aber der Gedanke, einfach aus ihm wegzugehen, war nicht zur Debatte gestanden, wahrscheinlich gerade deshalb nicht, weil meine Schwester immerfort die Andeutungen in diese Richtung, nämlich Peiskam so schnell als möglich zu verlassen, gemacht hatte. Immer wieder hatte sie Namen von Städten genannt, jetzt begreife ich, nur um mich zu reizen, das Wort Adria , das Wort Mittelmeer , so oft das Wort Rom und die Wörter Sizilien und schließlich auch mehrere Male Palma , was mich aber doch nurmehr noch intensiver daran hatte denken lassen, in Peiskam mit meiner Arbeit anzufangen,immer redet sie und redet sie, habe ich gedacht und geht nicht weg, sie solle, weiß Gott, wohin gehen, meinetwegen in die Südsee, aber so bald als möglich und für lange Zeit, denn sie war mir schon so auf die Nerven gegangen und ich fragte mich, was sie denn eigentlich noch in Peiskam wollte, das sie selbst alle Augenblicke heruntermachte, immerfort als die Gruft bezeichnete, als ihr und mein Lebensunglück, daß sie es am liebsten, wäre ich nur dazu bereit, verschleudern würde; die Elternhäuser sind todbringend hat sie gesagt, jedes Elternerbe todbringend und wer die Kraft dazu habe, solle diese ererbten Elternhäuser und Elternerben so schnell er kann, abstoßen und sich von ihnen befreien, denn sie

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