Betrogen
lieÃen ihn kalt.
Er vergrub den Kopf in den Händen und stieà erbittert ein »Dreckskerl« hervor.
»Chief? He, Kumpel, alles in Ordnung?«
Langsam hob Chief den Kopf und starrte den jungen Mann verständnislos an, dann lächelte er ihn reumütig und selbstironisch an. »Ich war heute auf einer Beerdigung. Bei einer Frau.«
»He, Mensch, tut mir Leid.«
Chief bedankte sich mit einem Nicken. »Bezahlen.«
Endlich hatte er herausgefunden, warum er sich an diese Tragödie gefesselt fühlte. Welche Erleichterung.
Wenn er nur wüsste, was er damit anfangen könnte. Verdammt nochmal!
17
Die Wände des fensterlosen Raumes hatten die grünlich-weiÃe Farbe von Kartoffelpüree, das schon ein paar Tage im Kühlschrank stand. Die PVC-Fliesen auf dem Boden lösten sich ab. Von den schalldämmenden verfleckten Deckenplatten hingen einige durch.
Aber der Computer war neu. Nur die Tastatur wies intensive
Gebrauchsspuren auf. Lucy Myrick hatte sich geweigert, sich davon zu trennen, als man die veralteten Geräte gegen eine neuere Generation austauschte. Diese spezielle Tastatur hatte sie schon so lange benutzt, dass die Buchstaben und Symbole abgewetzt waren. Wer die Tasten nicht kannte, wäre verloren, aber das stand sowieso nicht zur Debatte, denn eher würde sie ihre Zahnbürste verleihen als jemanden an ihren Rechner lassen.
Lucy Myrick entsprach nicht dem typischen Bild einer FBI-Agentin. Ihre karottenroten Haare standen exponentiell zur Luftfeuchtigkeit vom Kopf ab und stellten seit jeher den Fluch ihres Lebens dar. Kalorien schienen für Lucy nicht das Geringste übrig zu haben, denn nicht eine wollte sich an ihr festsetzen, auch wenn sie täglich zigtausende in sich hineinschlang. Sie war »dürr wie eine Bohnenstange«, wie ihre GroÃmutter immer gesagt hatte. Zusammen mit ihrer überdurchschnittlichen KörpergröÃe von einem Meter achtzig und ihrem feuerroten Schopf lag der grausame Vergleich mit einem brennenden Streichholz einfach zu nah.
Trotzdem hatte sich Lucy durch ihr ungewöhnliches Aussehen nicht daran hindern lassen, ihren Traum zu verfolgen. Auf Witze reagierte sie gutmütig, Niederlagen steckte sie robust weg. Ihre entschlossene Art, gepaart mit einem scharfen Verstand, hatten ihr beim FBI Anerkennung verschafft. Sie hatte die Polizeiakademie absolviert und besaà eine Waffenlizenz, doch ihre Lieblingswaffe war der Computer.
AuÃendienst war für sie nie in Frage gekommen. Wegen ihres ÃuÃeren hätten sie weder Kollegen noch Ganoven je ernst genommen. Auch verdeckte Ermittlung stand nicht zur Debatte. Sie fiele in jeder Umgebung unweigerlich auf. Aber beides hätte sie ohnehin nicht interessiert. Ihr Interesse galt der Geheimdienstarbeit. Mit einer Kombination aus Computerwissen und Kriminologie hatte sie eine Position als Geheimdienstanalytikerin erworben.
Im Grunde genommen betrieb sie Forschungsarbeit. Sie unterzog
Polizeiberichte aus allen Regionen einer erneuten Prüfung, verglich Verbrechen miteinander, suchte nach Parallelen und ähnlichen Tathergängen und hielt Ausschau nach Zufällen, die keine waren, und nach verbindenden Elementen, die äuÃerlich nicht zusammen zu passen schienen. Ihr Job bestand darin, Serienverbrecher oder kriminelle Gruppen aufzuspüren, die sonst nie der Gerechtigkeit anheim gefallen wären. Lucy bevorzugte dafür den Begriff »Schiffe versenken«.
Ihr Arbeitstag war schon fast zu Ende. Gähnend streckte sie sich und warf einen Blick auf die Wanduhr. Sie hatte zwei Möglichkeiten: Entweder ging sie rechtzeitig und plagte sich mit dem Washingtoner StoÃverkehr herum, oder sie überzog ihre Arbeitszeit und lieà den Verkehr ausdünnen. So oder so wäre sie ungefähr zur selben Zeit zu Hause. Trotzdem wollte sie nicht zu spät heimkommen und ihre Fernsehsendung versäumen, die um acht begann. Heute Abend stand ihre Lieblingssendung auf dem Programm. Heute Abend â
Plötzlich beugte sie sich vor und konzentrierte sich ganz auf die Information, die soeben auf ihrem Bildschirm erschien. Sie las sie drei Mal und ihr Herz klopfte dabei jedes Mal ein wenig mehr. Genau auf so etwas sollte sie im Auftrag von Tobias unbedingt achten. Und für Tobias tat sie alles, weil er â nun ja, weil er eben Tobias war und sie sich heftig in ihn verguckt hatte.
Zehn Minuten später sprintete Lucy Myrick die Treppe hinauf,
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