Bettler 01 - Bettler in Spanien
Macher?«
»Nee. Die haben ihre eigenen Schulen.« Er sah Leisha mit einem Blick an, der ihr sagen sollte, daß sie das eigentlich wissen müßte. Was natürlich auch der Fall war. Die Vereinigten Staaten waren nun zu einer Dreischichtengesellschaft geworden: die Habenichtse, die durch das geheimnisvolle hedonistische Opiat der Philosophie vom ›wahren Lebensgenuß‹ zu Empfängern des Geschenkes des absoluten Nichtstuns geworden waren; diese ›Nutzer‹, achtzig Prozent der Bevölkerung, hatten die Ethik der Arbeit gegen eine vulgäre Version der alten aristokratischen Ethik eingetauscht: wer vom Glück begünstigt ist, braucht nicht zu arbeiten. Über ihnen – oder unter ihnen – befanden sich die Macher: gentechnisch verbesserte Schläfer, die nach dem Diktat und als Preis für die Wählerstimmen der neuen Müßiggängerklasse die Wirtschaft und das politische Räderwerk in Gang hielten. Macher beaufsichtigten und verwalteten; ihren Robotern oblag die Schwerarbeit. Und schließlich die Schlaflosen – die größtenteils ohnedies in Sanctuary lebten und damit für den Rest der Menschheit unsichtbar waren –, die von den Nutzern, nicht aber von den Machern, ignoriert wurden. Und das alles, die ganze Dreischichtenkonstruktion – Id, Ego und Superego hatte ein Witzbold sie einmal spöttisch genannt –, wurde von billiger, allgegenwärtiger Y-Energie zusammengehalten, die automatisierte Fabriken speiste und damit das Wohlfahrtssystem mit seiner überreichlichen Versorgung mit Brot und Spielen ermöglichte, deren Preis in Form von Wählerstimmen bezahlt wurde. Das ganze Gebilde war typisch amerikanisch, fand Leisha, denn es schaffte es, Demokratie mit Materialismus zu kombinieren, Mittelmäßigkeit mit Enthusiasmus, Macht mit der Illusion einer Kontrolle von unten her.
»Sagen Sie mir, Mister Cavanaugh, was machen Sie und Ihre Freunde mit all Ihrer Freizeit?«
»Machen?« Er schien verblüfft.
»Ja. Machen. Heute, zum Beispiel. Wenn Sie mit der Aufzeichnung dieses Interviews fertig sind, was werden Sie dann machen?«
»Na ja… Ich werde die Aufnahme in der Schule abliefern. Der Lehrer wird sie dann ins Schulnetz eingeben, denke ich. Wenn er Lust hat.«
»Ist er ein Nutzer oder ein Macher?«
»Ein Nutzer, natürlich!« sagte er ein wenig verächtlich. Leisha merkte, wie rasch der Stand ihrer Aktien verfiel. »Bis zwölf, wenn die Schule aus ist, könnte ich mich noch ein wenig mit Lesen beschäftigen – ich kann schon fast lesen, aber eben noch nicht ganz. Ist ja völlig überflüssig, aber Mama will, daß ich es lerne. Dann, um zwölf, sind die Rollerrennen, dort geh’ ich mit ein paar Freunden hin…«
»Wer bezahlt und organisiert die Rennen?«
»Unsere hiesige Abgeordnete, natürlich. Cathy Miller. Die ist ‘n Macher.«
»Natürlich.«
»Dann schmeißen ein paar Freunde ‘ne Brainie-Party; unser Kongressmitglied hat neuen Stoff aus Colorado oder von sonstwo verteilt, und dann läuft dieses Virtuelle-Welten-Holovideo, das will ich mir unbedingt reinziehen…«
»Wie heißt es?«
»Tamarra von den Meeren des Mars. Sehen Sie sich das nicht auch an? Agresso-Story.«
»Kann schon sein, daß ich es mir ansehe.« Füße, Reporter, Tamarra von den Meeren des Mars. Moira, Alices Tochter, war in eine Marskolonie ausgewandert. »Aber Sie wissen, daß es in Wirklichkeit auf dem Mars keine Meere gibt?«
»Ach so?« sagte er desinteressiert. »Dann spielen wir Ball, ich und meine Freunde, und dann schieben mein Mädchen und ich ‘ne Nummer. Hinterher, wenn dann noch Zeit bleibt, kreuz’ ich in der Hütte meiner Mama auf, weil meine Eltern heut’ abend ‘nen Tanz haben. Wenn es sich nicht mehr ausgeht… Miss Camden, was ist denn so komisch daran?«
»Gar nichts.« Leisha schnappte nach Luft. »Entschuldigen Sie. Aber kein Aristo aus dem achtzehnten Jahrhundert hätte mehr gesellschaftliche Verpflichtungen in seinem Terminplan haben können!«
»Na ja, kommt vielleicht da her, daß ich ‘n Agresso-Nutzer bin«, erklärte der Junge bescheiden. »Aber eigentlich sollte ich ja die Fragen stellen. Also, ist… nein, warten Sie… Was ist diese… Stiftung, die Sie leiten? Was macht die?«
»Sie fragt Bettler, warum sie Bettler sind, und stellt denjenigen, die etwas anderes werden wollen, die Geldmittel dafür zur Verfügung.«
Der Junge sah überfordert drein.
»Wenn Sie, zum Beispiel«, sagte Leisha, »ein Macher werden wollen, dann bezahlt Ihnen die Susan-Melling-Stiftung die Schule, finanziert
Weitere Kostenlose Bücher