Bettler 01 - Bettler in Spanien
war.
Jennifer sah sie lächelnd an. »Ja, natürlich. Wir können alle das Baby sehen. Aber ich möchte wiederholen, was ich euch bereits erklärt habe: diese Generation von gentechnischen Veränderungen geht über alles, dessen wir uns erfreuen dürfen, weit hinaus. Und wenn wir uns auch weiterhin unsere Überlegenheit über die Schläfer auf der Erde bewahren wollen, dann müssen wir jeden in diese Richtung führenden Weg erkunden. Gelegentlich jedoch haben wir für unsere Fortschritte einen kleinen, unvermeidbaren Preis zu zahlen.«
Diese Worte ernüchterten alle wieder. Die acht Ratsmitglieder mit den Lotteriesitzen – jene also, die nicht der Familie Sharifi angehörten, welche über einundfünfzig Prozent der finanziellen Kontrolle von Sanctuary und damit über einundfünfzig Prozent der Ratsstimmen verfügte – sahen einander an. Die sechs ständigen Ratsmitglieder – Jennifer, Ricky, Hermione, Najla, Najlas Ehemann Lars Johnson und Jennifers Ehemann Will Sandaleros – trugen ein entschlossenes Lächeln zur Schau. Mit Ausnahme von Hermione.
»Bring das Baby herein«, sagte Jennifer zu ihr, und Hermione stand auf und ging hinaus. Zögernd streckte Ricky die Hand aus, als seine Frau an ihm vorbeikam, aber er berührte sie nicht. Er zog die Hand wieder zurück und starrte aus dem Fenster der Kuppel. Niemand sprach, bis Hermione mit einem dick eingepackten Bündel zurückkam.
»Das«, sagte Jennifer, »ist Miranda Serena Sharifi. Unsere Zukunft.«
Hermione legte das Baby auf den Konferenztisch und schlug die gelbe Decke auf. Miranda war zehn Wochen alt. Ihre Haut sah blaß aus und zeigte nicht den geringsten rosigen Schimmer; ihr Haar war ein dichtes, schwarzes Gewirr. Mit klugen, sehr dunklen Augen sah sie in die Runde. Die Augen standen etwas vor und waren ohne Unterlaß in Bewegung, offenbar unfähig, stillzuhalten. Das kleine, kräftige Körperchen zuckte unaufhörlich; die winzigen Fäuste öffneten und schlossen sich in so rascher Folge, daß es schwerfiel, ihre Finger zu zählen. Das Baby strahlte eine manische Vitalität aus, eine kaum zu steigernde Hochspannung, die so konzentriert wirkte, daß es fast den Anschein hatte, ihr Blick müßte eine Zickzacklinie in das Kuppeldach schneiden.
Das junge Ratsmitglied Arnes preßte die Faust an den Mund.
»Auf den ersten Blick«, sagte Jennifer mit ihrer beherrschten Stimme, »werdet ihr wahrscheinlich finden, daß die Symptome unserer Miranda wie gewisse Störungen des Nervensystems aussehen, von denen gen-unveränderte Bettler des öfteren heimgesucht werden. Oder vielleicht wie Reaktionen auf Paraamphetamine. Doch das hier ist etwas völlig anderes. Miris Gehirn arbeitet mit der drei- oder vierfachen Geschwindigkeit des unseren, noch dazu mit einer hervorragend intensivierten Gedächtniskapazität und ebenso intensivierter Konzentrationsfähigkeit. Es gibt keinerlei Verlust an Nervenkontrolle, hingegen kommt es als Nebenerscheinung zu einem geringen Verlust an motorischer Kontrolle. Miris Genveränderungen schließen zwar hohe Intelligenz mit ein, doch die Veränderungen an ihrem Nervensystem werden ihr erlauben, diese Intelligenz auf eine Art und Weise einzusetzen, die wir jetzt noch nicht voraussagen können. Diese Genmodifizierung ist die sicherste Methode zur Umgehung des berüchtigten Phänomens der intellektuellen Regression auf ein Mittelmaß – wenn hochintelligente Eltern nur Kinder von normalen geistigen Fähigkeiten hervorbringen, wodurch eine niedrigere Ausgangsbasis entsteht, von der aus neue Genvarianten hochschießen können.«
Einige der Anwesenden nickten zu diesem Vortrag; ein paar andere, die über die geringeren geistigen Talente von Najla und Ricky im Vergleich zu Jennifer Bescheid wußten, senkten den Blick auf die Tischplatte. Ratsmitglied Arnes fuhr fort, das zuckende kleine Wesen anzustarren, die Augen aufgerissen und die Faust immer noch an die Zähne gepreßt.
»Miranda ist die erste«, sagte Jennifer. »Aber nicht die letzte. Wir in Sanctuary repräsentieren die hervorragendsten Köpfe der Vereinigten Staaten. Es ist unsere Verpflichtung, diesen Vorsprung zu halten. In unserem eigenen Interesse.«
»Aber unsere normalen schlaflosen GenMod-Babies schaffen das doch schon«, sagte Ratsmitglied Lin leise.
»Ja«, erwiderte Jennifer und lächelte liebenswürdig, »aber die Bettler auf der Erde könnten jederzeit den Entschluß fassen, ihre kurzsichtige Politik zu beenden und zur Schaffung von Schlaflosen zurückzukehren.
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