Bettler 01 - Bettler in Spanien
dieselben vertragsmäßigen Voraussetzungen für alle gelten, ist der Weg zu einem ungehinderten Austausch unserer individuellen Leistungsergebnisse frei.«
»Hört sich an wie eine echte Yagaiistin«, sagte Richard und drückte ihre Hand.
»So, jetzt reicht mir die intellektuelle Diskussion aber«, sagte Carol lachend. »Das geht ja schon stundenlang so. Und wir sind doch am Strand, um Himmels willen! Wer kommt mit mir schwimmen?«
»Ich«, sagte Jeanine. »Komm auch mit, Jack!«
Sie sprangen auf, klopften sich den Sand vom Hosenboden und legten die Sonnenbrille ab. Richard zog Leisha hoch, aber gerade als sie sich alle anschickten, ins Wasser zu laufen, legte Tony ihr seine magere Hand auf den Arm. »Noch ein Problem Leisha. Einfach zum Nachdenken. Angenommen, wir erreichen im Leben mehr als die meisten anderen Menschen und tauschen, wann immer es für beide Teile von Vorteil ist, das Geleistete in irgendeiner Form mit den Schläfern, ohne einen Unterschied zu machen zwischen den Starken und den Schwachen unter ihnen – welche Verpflichtung haben wir dann jenen gegenüber, die so schwach sind, daß sie nichts haben, was sie mit uns tauschen könnten? Wir werden ohnehin mehr geben, als wir bekommen; müssen wir auch geben, wenn wir gar nichts dafür bekommen? Müssen wir mit den Früchten unserer Arbeit auch für ihre Krüppel und Behinderten sorgen, für ihre Kranken und Unfähigen und Faulen?«
»Müssen es die Schläfer tun?« gab Leisha die Frage zurück.
»Kenzo Yagai würde sagen, nein. Und er ist ein Schläfer.«
»Er würde sagen, sie profitieren ohnehin von diesem Tauschhandel, auch wenn sie keine direkten Vertragspartner sind. Immerhin ist dank der Y-Energie bereits jetzt die ganze Welt besser ernährt und gesünder.«
»Kommt endlich!« rief Jeanine. »Leisha, sie tauchen mich unter! Jack, hör auf damit! Leisha, so hilf mir doch!«
Leisha lachte. Gerade als sie Jeanine befreien wollte, gewahrte sie den Ausdruck auf Richards Gesicht. Und auf Tonys. Richard sah unverhohlen lüstern aus; und Tony wütend. Auf sie. Aber weshalb? Was hatte sie getan, außer sich auf die Seite von Menschenwürde und freiem Austausch aller Leistungen zu stellen?
Doch dann spritzte Jack sie an, und Carol warf Jack in die laue Brandung, und Richard legte die Arme um sie und hielt sie lachend fest.
Und als sie sich das Wasser aus den Augen gewischt hatte, war Tony verschwunden.
Mitternacht. »Okay«, sagte Carol. »Wer macht den Anfang?«
Die sechs Teenager auf der kleinen, von Brombeerhecken umgebenen Lichtung sahen einander an. Eine Y-Lampe, der Atmosphäre wegen auf gedämpften Lichtschein reduziert, warf gespenstische Schatten über die Gesichter und die nackten Beine. Rund um die Lichtung standen Roger Camdens hohe Bäume dicht und dunkel wie eine Mauer zwischen ihnen und dem nächsten Nebengebäude des Landsitzes. Es war sehr heiß – eine drückende, schwüle Augustnacht. Sie hatten sich gegen das Mitbringen eines klimatisierten Y-Feldes entschieden, weil dies doch eine Rückkehr ins Primitive, in die Gefahren der Wildnis werden sollte. Also mußte es auch primitiv bleiben.
Sechs Augenpaare starrten auf das Glas in Carols Hand.
»Na los!« drängte sie. »Wer macht den ersten Schluck?« Die unbeschwerte Entschlossenheit in ihrer Stimme klang ein wenig gekünstelt. »Es war ohnehin schwer genug, das zu beschaffen.«
»Und wie hast du es beschafft?« fragte Richard, mit Ausnahme von Tony jenes Mitglied der Gruppe, dessen Familie am wenigsten einflußreich und am wenigsten wohlhabend war. »So, in trinkbarer Form?«
»Jennifer hat es besorgt«, sagte Carol, und fünf Augenpaare richteten sich auf Jennifer Sharifi, die selbst nach zweiwöchigem Aufenthalt bei Carol und ihrer Familie immer noch auf alle verwirrend wirkte. Sie war als Tochter eines Hollywoodstars und eines arabischen Prinzen, der vorgehabt hatte, eine Schlaflosen-Dynastie zu gründen, in Amerika geboren. Jetzt war der Hollywoodstar drogenabhängig und wurde langsam alt; der Prinz hingegen hatte, schon als Kenzo Yagai seine ersten Lizenzen vergab, sein ganzes Vermögen aus dem Ölgeschäft abgezogen, in die Y-Energie gesteckt und war längst tot. Jennifer Sharifi war reicher, als Leisha je sein würde, und weitaus phantasievoller und raffinierter bei der Beschaffung von allerlei Dingen. In dem Glas befand sich Interleukin-1, eine Substanz, die das Immunsystem stärkte und wie zahlreiche andere als Nebeneffekt das Gehirn umgehend zu tiefem
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