Bettler 01 - Bettler in Spanien
wenn wir Kevin Baker nehmen«, fuhr Miri fort, »brauchen wir einen Rechtsanwalt. Werden Sie uns vertreten?«
»Es tut mir leid, das kann ich nicht«, sagte Leisha. Weshalb, sagte sie nicht – das mußte noch etwas warten. »Aber ich kann euch ein paar gute Anwälte empfehlen. Justine Sutter zum Beispiel. Sie ist die Tochter eines sehr alten Freundes.«
»Eine Schläferin?«
»Sie ist äußerst tüchtig«, betonte Leisha. »Und das ist es doch, was zählt, oder?«
»Gewiß«, sagte Miri. Und dann: »Eine Schläferin.«
»Das wird wohl auch das beste sein«, meinte Ricky. »Eure Anwälte müssen sich schließlich mit dem Sachrecht der Vereinigten Staaten herumschlagen. Ein Bettler ist da gerade der richtige.«
»Wenn du in Hinkunft hier wohnen willst, Ricky«, sagte Leisha, »dann wirst du dieses Wort unterlassen müssen. Zumindest in diesem Tonfall.«
Nach einer Sekunde sagte Ricky: »Ja. Du hast recht.«
So einfach war das. Jennifer Sharifis Sohn, aufgewachsen in Sanctuary. Und die Menschen dachten, sie verstünden etwas von genetischer Manipulation!
Unvermittelt sagte Drew zu Miri: »Werden Sie eines Tages Sanctuary erben?«
Miranda blickte ihn lange an. Leisha hatte keine Ahnung, was in dem Mädchen vorging. Schließlich sagte Miri nachdenklich: »Ja, das ist richtig. Aber das dauert noch eine ganze Weile. Vielleicht hundert Jahre oder länger. Aber eines Tages, ja, werde ich es erben.«
Drew antwortete nicht. Hundert Jahre oder länger, dachte Leisha.
Miri und Drew wechselten einen Blick, den Leisha nicht zu interpretieren vermochte. Sie konnte sich nicht vorstellen, was es zu bedeuten hatte, als Drew schließlich lächelte.
»Auch nicht schlecht«, sagte er.
Miri lächelte auch.
26
Leisha saß auf ihrem Lieblingsstein, einem flachgeschliffenen Felsen, im Schatten einer Pappel. Der Bach zu ihren Füßen war vollständig ausgetrocknet. Ein paar hundert Meter weiter unten am Bachbett bewegte sich einer der SuperS mit gesenktem Kopf langsam voran; es war wohl Joanna. Sie war fasziniert von den Fossilien und gerade dabei, ein dreidimensionales Gedankengeflecht über den Zusammenhang zwischen Koprolithen und Orbitalstationen zu konstruieren, das Leisha nicht verstand. Es war ein Gedicht, sagte Miri und fügte hinzu, daß niemand von ihnen Gedichte gebaut hatte, bevor sie mit dem lichten Träumen anfingen. Das war der Ausdruck, den sie gebrauchte: ›Gedichte gebaut‹.
Ein paar Schritt entfernt wühlte sich eine Känguruhratte in einen Haufen trockenen Erdreichs. Leisha sah ihr zu, wie sie ihre kurzen Vorderbeine als flinke Schaufeln einsetzte und dann das aufgehäufte Erdreich mit den langen Hinterbeinen wegkickte. Plötzlich drehte sich die Ratte um und sah Leisha an: runde, vorstehende, glänzend schwarze Augen und runde kleine Ohren. Sie hatte eine merkwürdige Beule auf dem Oberkopf – ein Tumor im Frühstadium, vermutete Leisha. Das Tierchen machte sich wieder an die Arbeit, belüftete als Nebeneffekt den Boden und düngte ihn mit dem Stickstoff seiner Ausscheidungen. Außerhalb des Schattens der Pappeln schimmerte die Wüste in einer Gluthitze, die sich schon jetzt, Anfang Juni, über das Land legte.
Leisha wußte, wenn sie sich umwandte, würde sie eine andere Art von Schimmern erblicken. Zwölf Meter über dem Anwesen verformten sich Luftmoleküle in einem neuartigen Energiefeld, mit dem Terry experimentierte. Es würde den nächsten Durchbruch in angewandter Physik darstellen, sagte Terry. Kevin Baker verhandelte bereits über die Lizenzvergabe mit Samsung, IBM und Konig-Rottsler.
Leisha zog sich Schuhe und Socken aus. Das war nicht ganz ungefährlich, denn sie befand sich außerhalb des Gebietes, das dauernd elektronisch von Skorpionen geräumt wurde. Doch der selbst hier im Schatten heiße Stein fühlte sich angenehm rauh unter ihren nackten Füßen an. Plötzlich entsann sie sich, wie sie am Morgen ihres siebenundsechzigsten Geburtstags ihre Füße betrachtet hatte. Seltsam – wie konnte man nur so etwas im Gedächtnis behalten! Doch die Erinnerung machte ihr Freude; sie hatte gerade angefangen zu erkennen, wie viel selbst ein Schlafloser in dreiundachtzig Jahren vergessen konnte.
Die SuperS hingegen erinnerten sich an alles. Ausnahmslos.
Leisha wartete darauf, daß Miri aus dem Haus stürzte, um ihr Vorwürfe zu machen. Die Explosion war bereits überfällig; Miri mußte länger als gewöhnlich in ihrem Labor festgesessen haben. Oder vielleicht war sie mit Drew zusammen,
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