Bettler 01 - Bettler in Spanien
zu Ende bringen.«
»So gesehen, geht’s mir ebenso. Du hast recht.«
Er ging zurück in sein Arbeitszimmer. Leisha wandte sich wieder ihren Notizen zum Fall Simpson gegen Küstenfischerei zu. Sie hatte Mühe, sich zu konzentrieren. Wie lange war es schon her, seit sie und Kevin das letzte Mal miteinander geschlafen hatten? Drei Wochen? Vier?
Diese Unmengen von Arbeit… Alle Dinge geschahen in so rascher Aufeinanderfolge… Vielleicht würde sie ihn noch sehen, bevor sie am Morgen das Haus verließ. Nein – er nahm ja diesen Flug nach Bonn. Nun ja, dann eben gegen Ende der Woche. Falls sie sich beide in derselben Stadt aufhielten, falls sie beide Zeit hatten. Es drängte sie nicht nach Sex mit Kevin. Aber das war nie anders gewesen.
Eine Erinnerung krampfte ihr Inneres zusammen: Richards Hände auf ihren Brüsten.
Sie beugte sich tiefer über den Bildschirm und erweiterte ihre Suche nach Präzedenzfällen im Seerecht.
»Du hast Adam Walcotts Forschungsunterlagen aus einem Safe bei der First National Bank in Chicago gestohlen«, sagte Leisha mit kalter Stimme.
Jennifer Sharifi hob den Blick und sah Leisha in die Augen. Die beiden Frauen standen einander gegenüber, getrennt durch die ganze Weite des Wohnzimmers in Sanctuary. Hinter dem glänzenden Helm aus Jennifers hochgebundenem Haar strahlten Tony Indivinos Augen und sein Lächeln vom Holoporträt.
»Ja«, sagte Jennifer. »Ich habe sie gestohlen.«
»Jennifer!« rief Richard gequält.
Leisha wandte sich langsam zu ihm um. Sie hatte den Eindruck, als hätte sich die Qual nicht auf die Tat bezogen, sondern auf ihr Eingeständnis.
Er stand vorgeneigt auf den Ballen seiner Fußsohlen, das Gesicht mit den buschigen Augenbrauen gesenkt, und sah genauso aus wie damals mit siebzehn, als sie zu dem kleinen Vorstadthäuschen in Evanston gepilgert war, um ihn kennenzulernen. Vor beinahe dreißig Jahren. Inzwischen hatte Richard etwas in Sanctuary gefunden – etwas, das er gebraucht hatte, vielleicht eine Art von Gemeinschaftsgefühl, das er vermutlich sein ganzes Leben lang vermißt hatte. Und Sanctuary war Jennifer – war es immer gewesen. Jennifer und Tony. Nichtsdestoweniger mußte Richard sich gehörig verändert haben, wenn er in irgendeiner Weise an dieser kriminellen Tat beteiligt war. Wenn er daran mitgewirkt hatte, dann war ihr, Leisha, völlig entgangen, wie tiefgreifend er sich in all diesen Jahren verändert hatte.
»Jennifer wird nichts sagen, solange ihr Anwalt nicht anwesend ist«, sagte er mit undeutlicher Stimme.
»Also, dem abzuhelfen wird ja wohl nicht besonders schwierig sein!« bemerkte Leisha schneidend. »Wie viele Anwälte hat Sanctuary bis jetzt erbeutet? Candace Holt. Will Sandaleros. Jonathan Cocchiara. Wie viele noch?«
Jennifer ließ sich auf dem Sofa nieder und zog die Falten ihrer Abajeh um sich. Heute war die Glaswand undurchsichtig; weiche, blaugrüne Muster strichen sanft darüber. Jennifer, entsann sich Leisha plötzlich, mochte keine bewölkten Tage.
»Wenn du eine gerichtliche Anklage mitbringst, Leisha«, sagte Jennifer, »dann leg den Haftbefehl auf den Tisch.«
»Du weißt, daß ich keine Staatsanwältin bin. Ich vertrete Doktor Walcott.«
»Dann hast du vor, diesen angeblichen Diebstahl an die Staatsanwaltschaft weiterzugeben?«
Leisha zögerte. Sie wußte – und Jennifer wußte es vermutlich auch –, daß die Beweise selbst für die Geschworenen, die nur über die Eröffnung des Hauptverfahrens entscheiden mußten, zu dürftig waren. Walcotts Papiere waren aus dem Safe verschwunden, aber aus den Bankvermerken ging hervor, daß ebendieser Doktor Walcott es gewesen war, der sie daraus entnommen hatte. Bestenfalls konnte Leisha der Nachweis gelingen, daß irgendein neuer Angestellter der First National Bank auch Zugang zu den Übernahmebestätigungen hatte – falls es überhaupt ein neuer Angestellte gewesen war. Wie sorgfältig führte Sanctuary seine Vorausplanungen durch? Sein verdecktes Informationsnetz war jedenfalls weitreichend genug, um auch untergeordnete Forschungsstellen in drittklassigen biotechnischen Betrieben einzuschließen, falls die Forschungen in irgendeiner Weise mit Schlaflosen zu tun hatten. Und Leisha wäre jede Wette eingegangen, daß kein neuer Angestellter bei der First National irgendwann ein alter Angestellter bei Samplice gewesen war. Sie hatte also nichts als Doktor Walcotts Behauptung – und natürlich ihr ureigenstes Wissen dessen, wozu Jennifer – eine Schlaflose –
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