Bettler 01 - Bettler in Spanien
fähig war. Doch das Gesetz interessierte sich nicht für Leishas ureigenstes Wissen; auch das galt nur als haltlose Behauptung.
Hoffnungslosigkeit überkam sie und flößte ihr Furcht ein, weil es ein so seltenes Gefühl war. Und dann überfielen sie Erinnerungen: an Richard mit siebzehn, als er mit ihr und Tony und Carol und Jeanine lachend durch die Brandung getobt war; der Sand und das Wasser und der Himmel hatten sich in einem grenzenlosen, zurückweichenden Licht weit geöffnet… Ihr Blick suchte Richards Augen.
Er drehte ihr den Rücken zu.
»Weshalb bist du dann tatsächlich gekommen, Leisha?« fragte Jennifer gemessen. »Wenn es keine rechtlichen Angelegenheiten mit mir oder Richard oder Sanctuary zu regeln gibt, und wenn dein Klient nichts mit uns zu tun hat…«
»Du sagtest doch eben, du hättest die Papiere genommen!«
»Ach, sagte ich das?« Jennifer lächelte. »Nein, da irrst du dich. Ich würde das weder sagen noch tun.«
»Ich verstehe. Du wolltest nur, daß ich es weiß. Und nun willst du, daß ich gehe.«
»Ja, das will ich«, sagte Jennifer, und einen bizarren Moment lang hörte Leisha darin den Nachhall einer Trauungszeremonie. Jennifers Gedankengänge würden ihr für immer verschlossen bleiben. Als sie so in Jennifers Wohnzimmer stand, zusah, wie sich die grünen Wirbel auf dem Fenster formten und auflösten und erneut formten, und einen Blick auf Richards eingezogene Schultern warf, wußte Leisha plötzlich, daß sie nach dem heutigen Tag nie wieder irgendwo in Sanctuary stehen würde.
Zu Richard – nicht zu Jennifer – sagte sie: »Walcott und Herlinger haben die Forschungsergebnisse immer noch im Kopf. Falls diese Ergebnisse halten, was sie versprechen, könnt ihr nicht verhindern, daß sie in die Praxis umgesetzt werden. Wenn ich nach Chicago zurückkomme, werde ich meinem Klienten Anweisung geben, alles noch einmal niederzuschreiben und es in mehreren Kopien an sicheren Orten unterzubringen. Ich möchte, daß du das weißt, Richard.«
Er drehte sich nicht um. Leisha betrachtete sein gebeugtes Rückgrat.
»Einen guten Flug«, sagte Jennifer.
Adam Walcott fand sich nicht leicht mit Enttäuschungen ab. »Sie meinen, es gibt nichts, was wir tun können? Gar nichts?«
»Wir haben keine ausreichenden Beweise.« Leisha stand vom Schreibtisch auf und ging auf die andere Seite, wo sie sich auf einem Stuhl Walcott gegenüber niederließ. »Sie müssen das verstehen, Doktor Walcott. Die Gerichtshöfe können sich immer noch nicht schlüssig werden, bis zu welchem Ausmaß elektronische Dokumente als Beweis zuzulassen sind. Der Kampf um diese Klärung tobte bereits, als ich noch nicht geboren war. Die ersten auf Computer entstandenen Dokumente wurden noch als Beweis vom Hörensagen betrachtet, weil es sich nicht um Originale handelte. Dann hat man sie deshalb nicht zugelassen, weil es zu viele Leute gab, die die Sicherheitssysteme der Computer durchbrechen konnten. Und nun, seit dem Fall Sabino gegen Lansing, behandelt man sie als eigene, dem Wesen nach schwächere Kategorie von Beweisen. Handschriftlich unterzeichnete Dokumente sind alles, was wirklich zählt. Und das bedeutet, daß Einbrecher und Diebe, die handfeste Beweise zurechtbiegen können, immer noch turmhoch über dem elektronischen Kriminellen stehen. Womit wir dort stehen, wo wir angefangen haben.«
Walcott sah nicht so aus, als könnte ihn dieser Einblick in die Geschichte der Rechtspflege interessieren. »Aber, Miss Camden…«
»Herr Doktor Walcott, Sie scheinen den wichtigsten Punkt hier völlig außer acht zu lassen. Sie haben das ganze Konvolut Ihrer Forschungsergebnisse im Kopf, Erkenntnisse, die die Welt verändern könnten. Und wer auch immer Ihre Dokumente an sich gebracht hat, besitzt nur neun Zehntel davon, weil das letzte Stück sich nur in Ihrem Kopf befindet! Das war es doch, was Sie mir sagten, richtig?«
»Richtig.«
»Also schreiben Sie es nieder. Hier. Jetzt.«
»Jetzt?« Der schmächtige kleine Mann schien angesichts dieser Vorstellung wie vom Donner gerührt zu sein. »Warum?«
Und Jennifer hielt Leisha für naiv! Sie wählte ihre Worte äußerst sorgfältig. »Doktor Walcott, die Ergebnisse dieser Forschungsarbeiten stellen möglicherweise ein sehr wertvolles geistiges Eigentum dar. Es könnte für Sie oder für Samplice oder, was wahrscheinlicher ist, in Form irgendeiner prozentuellen Beteiligungsregelung zwischen Ihnen beiden Milliarden wert sein. Ich bin gerne bereit, Sie bei einer solchen
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