Beuterausch
eine von diesen Polygamisten.«
»Du meinst die Mennoniten. Die Polygamisten sind die Mormonen.«
»Stimmt.«
»Du wolltest etwas Robustes. Darum ging es doch.«
»Das hast du gut gemacht, Belle. Sehr schön.«
»Danke.«
Ihm fällt etwas Merkwürdiges auf. Es hat die Frau nicht gestört, völlig nackt zu sein. Sie schien keinen Gedanken darauf zu verschwenden. Jetzt sieht sie irgendwie … tja, wie soll man sagen, beschämt aus. Als wäre diese kleine Domestizierung eine absolute Demütigung für sie. Wieder muss er grinsen.
»Sie ist schön rausgeputzt, oder?«
»Sollen wir sie füttern?«
»Ja. Das sollten wir tun. Was haben wir noch übrig?«
»Eintopf. Wir haben noch Eintopf.«
»Gut.«
Als Belle gegangen ist, um den Eintopf aufzuwärmen, füllt er am Waschbecken einen alten Zinnbecher mit Wasser. Das Wasser ist rostig, aber etwas anderes gibt es eben nicht hier unten. Besser als nichts. Er bringt es ihr.
Die Frau blickt in den Becher, und sofort bewegen sich ihre Lippen. Sie ist wahnsinnig durstig. Er hält den Becher an ihren Mund, und sie trinkt ihn leer.
»Willst du noch was?«
So viel scheint sie immerhin zu verstehen. Sie nickt energisch.
Er füllt den Becher auf, und sie trinkt. Spontan legt er seine andere Hand auf ihr langes Haar und ist äußerst überrascht, als sie sich tatsächlich dagegen lehnt. Als würde sie die Berührung genießen.
Verdammt! Die Frau verblüfft ihn immer wieder.
Belle sieht zu, wie ihr Mann die Frau mit einem Suppenlöffel füttert. Sie ist offensichtlich ausgehungert, schluckt den Eintopf, ohne zu kauen, und bekleckert sich dabei. Ihr Mann schabt das Essen mit dem Löffel von ihrem Kinn und steckt es ihr wieder in den Mund. Als wäre sie ein Baby.
Belle wurde von Christopher Cleek noch nie so behandelt. Nicht einmal, als sie im letzten Frühling mit vierzig Grad Fieber und der Grippe flachlag. Es wurmt sie.
Es wurmt sie noch mehr, als er die Hand hebt und über ihr Haar streicht.
Die Frau isst die Schüssel leer. Er wischt ihr Kinn mit einer Kompresse ab.
Sie hat einen Schluckauf.
Nein, Moment. Sie weint.
Die Schlampe weint tatsächlich. Tränen rollen über ihre Wangen.
»Go raibh maith agat«, sagt sie.
»Danke«, souffliert ihr Chris.
Sie versteht nicht. Belle findet das alles lächerlich. Sie anzuziehen. Zu versuchen, ihr Sprechen beizubringen. Ihr überhaupt etwas beizubringen.
Die Frau ist nichts als eine Wilde.
»Danke«, sagt er ihr noch einmal vor.
Sie begreift es immer noch nicht. Korrektur. Eine dumme Wilde.
»Daaanke«, wiederholt Chris gedehnt. »Daaanke.«
»Tanke«, sagt sie. Als wollte sie mich Lügen strafen.
Es hat nichts zu bedeuten. Das kann auch ein Papagei. Oder ein Beo. Sie erinnert sich, einmal in einer Fernsehshow einen gesehen zu haben, der Enten, Affen und sogar Katzen nachmachen konnte.
Chris dreht sich zu ihr und lächelt.
»Siehst du? Sie lernt«, sagt er.
Genau wie Belle. Sie lernt von Minute zu Minute, von Tag zu Tag mehr über ihren Mann.
Sie hatte Zeit, in sein Arbeitszimmer zu gehen und einen Blick in die Geschäftsbücher zu werfen. Es sieht nicht gut aus. Nichts ist vollständig abbezahlt: Die zweitrangige Hypothek auf das Haus, der Escalade, das Büro. Der Zinssatz auf ihre Kreditkarten ist absurd hoch. Und jetzt kauft er die Immobilie von diesem Bluejacket. Wovon? Peg wird bald aufs College gehen. Dann Brian. Sie werden beide Autos haben wollen. Er verdient in seiner Kanzlei gutes Geld, und seine Investitionen werfen eine hohe Dividende ab, aber sie fragt sich, wie er all das stemmen will.
Wie er nachts so gut schlafen kann.
Und sie macht sich Gedanken über seine Obsession.
Dieses Ding. Diese Frau.
20
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Genevieve Raton saß in der am weitesten von der Tür entfernten Ecke von Vance & Eddie’s Bar und schlürfte ihren zweiten Dewar’s mit Eis und hörte Jerry Lee Lewis »I Only Want a Buddy Not a Sweetheart« summen und auf seinem guten alten Klavier gegen eine Dixieland-Band anspielen, während im Fernsehen Giada De Laurentiis irgendein Pastagericht mit einer Sauce aus Süßkartoffeln und gegrillten Shrimps zusammenstellte. Es sah ziemlich lecker aus.
In der Bar war heute nicht viel los. Vorn eine Handvoll Geschäftsleute aus der Gegend und nur sie und Ginger zwischen den Stammgästen. Sie kam nicht besonders gut aus mit Ginger, einer Frau mit aschblonden Strähnchen, deren einzige Leidenschaften aus Klamotten und Schuhe kaufen und den Geschäftsleuten aus der Gegend bestanden – im Moment
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