Beuterausch
Godot, den beiden Autoren, an denen ich mich damals mehr oder weniger orientierte. Und obwohl ich mittlerweile keine Stücke mehr schreibe, hänge ich immer noch sehr an ihnen, glaube ich.
Wissen Sie, was Progerie ist? Die meisten Leute wissen es nicht. Es ist ein seltener genetischer Defekt, der zur vorzeitigen Alterung des Herzens, der Blutgefäße und der Haut führt. Mit vierzehn ist man glatzköpfig und faltig. Mit sechzehn sieht man aus wie ein geschrumpfter alter Mann. Man muss Glück haben, um seinen achtzehnten Geburtstag zu erleben. In meinem Stück neigt man zu schrägen und rätselhaften Betrachtungen der menschlichen Natur. Und warum nicht? Schließlich ist es eine ziemlich ungewöhnliche Perspektive.
Nicht unähnlich meiner eigenen hier.
Es war noch zu Beginn der Probephase. Ich glaube, wir hatten vorher erst zweimal geprobt. Die Schauspieler lasen noch vom Blatt, außer Linda, die das beste Textgedächtnis hatte, das mir jemals begegnet war. Deshalb war sie von uns vieren – ich sah den dreien vor dem Hintergrund des Meeres zu – am wenigsten abgelenkt.
Linda spielte Honey, und Sam spielte Butch. Die beiden waren ein nicht besonders helles, verheiratetes Paar mit gewichtigen Problemen, das zu dieser romantischen Klippe gekommen war, um vielleicht alles wieder zusammenzuflicken, indem sie ein Kind zeugten. Die Kleinfamilie als Rettungsanker, oder? Fast immer eine schlechte Idee. Und eine Vorstellung, die durch eine Begegnung mit diesem seltsamen kleinen Typen, der beteuert, er sei sechzehn, jedoch aussieht wie achtzig, ernsthaft erschüttert wird.
Besonders wenn er Sachen sagt wie – ich zitiere aus dem Gedächtnis: »So selten sie auch ist, diese Krankheit offenbart eine geheimnisvolle Präsenz innerhalb des menschlichen Körpers, etwas wie eine Uhr, die zu schnell oder zu langsam gehen kann, etwas, das das Leben verkürzt oder verlängert – und das der evolutionären Selektion unterliegt. Ein Schwanz verschwindet, ein opponierbarer Daumen oder ein Gen für das Altern wird geboren. Es wird deutlich, dass unser Leben von der Gnade weniger Sekunden abhängt und im Zeitraum eines Augenzwinkerns ausgelöscht werden kann.«
Muss ich noch erwähnen, dass sie kein Kind zeugten?
Vielleicht fragen Sie sich, wieso ich mich an diese Zeilen so gut erinnere.
Es liegt nicht daran, dass ich sie geschrieben habe. Zumindest nicht nur.
Der Grund ist, dass Art, mein schlanker Progerie-Kranker mit den zarten Gesichtszügen, sie gerade gelesen hatte, als Linda hinter mich zeigte und noch in ihrer Rolle als schlampige, unbedarfte Honey sagte: »Wer zum Teufel ist das?«
Sie gingen in Sekundenschnelle auf uns los. Eine Frau und ein jugendliches Mädchen, beide völlig nackt – und auf ihren Fersen etwas, das knurrend durch die Sanddünen sprang wie ein gehäuteter Hund.
Man sagt, Schauspiel ist Reaktion, aber die Einzige von uns, die überhaupt vernünftig reagierte, war Linda, die zum Meer lief – direkt ins Meer. Mit gut ein Meter achtzig und einem Gewicht von ungefähr hundert strammen Kilo beschloss Sam offenbar, die Stellung zu halten. Art, der wie ein Zenmeister im Schneidersitz auf einer der Dünen platziert worden war, versuchte auf die Beine zu kommen.
Ich hätte wahrscheinlich vor der Probe keinen Joint rauchen sollen, denn mein Verstand reichte nur noch zu dem Versuch, mich zu ducken, ehe die Frau mir das stumpfe Ende ihres Messers mitten auf die Stirn schlug und ich der Länge nach in den Sand fiel.
Sie wirbelte zu Sam herum – und es war ein Fehler gewesen, die Stellung zu halten, denn er war zwar schwer und muskulös, doch die Frau war einen halben Kopf größer als er und hatte das Messer und eine überlegene Reichweite. Sie tauchte unter seinem Schwinger hindurch, und dann steckte das Messer mit einem Mal tief in seiner Kehle und schlitzte sie von links nach rechts auf, und er hustete Blut und spritzte sie von oben bis unten voll.
Sie warf einen Blick zurück zu mir, doch es war offensichtlich, dass ich nirgendwohin gehen würde. Meine Beine hatten einfach den Dienst eingestellt. Ich konnte sie kaum noch spüren. So etwas macht die Angst mit einem.
Sam hielt sich noch irgendwie auf den Beinen, also legte sie ihren Mund an seinen Hals, und ihre Kehle begann sich zu bewegen, als sie ihn … aussaugte.
Das Mädchen war an mir vorbei hinter Linda ins Wasser gerannt. Durch die brechenden Wellen hörte ich sie schreien.
Aber meine Aufmerksamkeit wurde von den Geräuschen auf Arts Düne
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