Bevor der Abend kommt
gebrauchen.«
Wortlos schlüpfte Cindy in Julias Bett, schmiegte sich an ihre Mutter, die einen Arm über ihre Hüfte gleiten ließ, während Elvis es sich an ihren Füßen bequem machte. Der Hauch von Julias Angel-Parfüm in dem Kissen stieg Cindy in die Nase. Sie schloss die Augen und nuckelte an dem Duft wie ein Baby an der Brust seiner Mutter. Wenn Julia nach Hause kommt, gelobte Cindy stumm, kaufe ich ihr die größte Flasche Angel-Parfüm, die es gibt. Wenn sie nach Hause kommt, besorge ich ihr eine VIP-Karte für das Filmfestival, damit sie zu allen Galavorstellungen gehen kann. Wen sie nach Hause kommt, werde ich meine Zunge und mein Temperament zügeln und mein Baby wieder in den Armen halten.
Wenn sie nach Hause kommt, wiederholte Cindy wieder und wieder im Kopf, bis sie einschlief.
Wenn sie nach Hause kommt. Wenn sie nach Hause kommt.
»Mom? Grandma?«, fragte Heather von irgendwo über ihren Köpfen. »Was ist hier los?«
Cindy schlug die Augen auf und sah Heathers Gesicht über sich schweben, ihre süßen Gesichtszüge von der Schwerkraft verzerrt. Cindy richtete sich auf und rieb sich die Augen, während Elvis begeistert ihr Gesicht ableckte.
»Allmächtiger Himmel, was ist das?«, fragte Cindys Mutter, als der Hund seine Schnauze unter die Bettdecke steckte. »Geh weg«, knurrte sie, als Elvis seine lange Zunge nach ihren Lippen
ausstreckte. »Er hat mir seine Zunge in den Mund gesteckt! Hau ab, du dummer Hund!«
Heather scheuchte Elvis vom Bett. »Ich wusste gar nicht, dass du hier bist, Grandma.«
»Ich war schon im Bett, als du nach Hause gekommen bist.«
»Ich dachte, Julia wäre zurück.«
Cindy spürte, wie sich ihr Herz zusammenkrampfte. »Nein. Ich nehme an, du hast auch nichts gehört …«
Heather schüttelte den Kopf. »Warum schlaft ihr hier?«
Cindy und ihre Mutter zuckten gleichzeitig mit den Schultern. »Wie spät ist es?«, fragte Cindy.
»Kurz vor neun.«
»Neun?« Wann hatte sie selbst an einem Wochenende zum letzten Mal bis neun Uhr geschlafen?
»Was ist denn los?«, fragte Heather. »Ein wichtiger Termin oder was?«
»Nein«, antworteten beide Frauen.
»Aber ich habe jede Menge zu tun«, fügte Cindy rasch hinzu.
»Ja? Was denn?«
Cindy tat die Frage mit einer ungeduldigen Handbewegung ab. »Schläft Duncan noch? Ich muss mit ihm reden.«
»Er ist nicht hier.«
»Wo ist er denn?«
Heather zuckte die Achseln. »Nicht hier.«
»Heather …«
»Es tut mir echt Leid, Mom, aber ich weiß nicht, wo Duncan sich zu jeder Minute des Tages aufhält.«
» Wirklich Leid«, verbesserten Cindy und ihre Mutter unisono.
»Was?«
»›Echt‹ bedeutet so viel wie ›rein‹ oder ›unverfälscht‹ und sonst nichts. Alles andere ist schlechte Ausdrucksweise.«
Heather ging langsam und artig nickend rückwärts aus dem Zimmer. »Ich glaube, ich gehe jetzt mal mit Elvis Gassi, wenn die Grammatikpolizei nichts dagegen hat.«
Cindy lächelte. »Danke, mein Schatz.«
»Ich hab Kaffee gemacht«, sagte Heather.
»Danke«, wiederholte Cindy und staunte über die ungezwungene Anmut ihrer Tochter. Sie schaffte es selbst in einer engen, auf der Hüfte sitzenden Jeans und einem bauchnabelfreien, roten Tank-Top irgendwie noch, elegant auszusehen.
»Sie ist wirklich ein süßes Mädchen«, sagte ihre Mutter, nachdem Heather gegangen war.
»Ja, das ist sie.«
»Wie ihre Mutter.« Sie küsste Cindy auf die Stirn.
Cindy spürte, wie ihr Tränen in die Augen schossen. »Danke, dass du hier bist, Mom«, sagte sie.
Um zehn hatte Cindy geduscht, sich angezogen und war bei der vierten Tasse Kaffee.
»Du solltest etwas essen«, ermahnte ihre Mutter sie.
»Ich hab keinen Hunger.«
»Du solltest trotzdem etwas essen. Du musst schließlich bei Kräften bleiben.«
Cindy nickte, während sich erste Irritationen unter ihre Dankbarkeit mischten. Denn auch wenn es schön war, ihre Mutter bei sich zu haben und ihre Liebe und Unterstützung in einer schwierigen Zeit zu spüren, hatte Norma Appleton doch die ärgerliche Neigung, mehr Raum einzunehmen, als ihr zustand, sodass man sich bei längerer Anwesenheit zunehmend von ihr eingeengt fühlte. Man hatte schon erwachsene Frauen wegen akuter Platzangst schreiend aus dem Zimmer stürzen sehen. Empfand Julia ihr gegenüber ähnlich, fragte Cindy sich, so als ob ihr nicht genug Raum blieb? »Du musst dich nicht verpflichtet fühlen zu bleiben, Mom«, sagte sie taktvoll. »Ich bin sicher, du hast Millionen andere Sachen zu tun.«
»Was
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