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Bevor der Morgen graut

Bevor der Morgen graut

Titel: Bevor der Morgen graut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Arnar Ingolfsson
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plötzlich Jóhann mit seinem Bericht fortfuhr, als sei nichts geschehen: »Ich bin natürlich sofort wieder nach Island geflogen und ein paar Wochen durch Reykjavík geschlichen. Dann bekam ich den Job bei dem Überwachungsdienst. Nach allem, was passiert war, konnte ich mir nicht vorstellen, nach Akureyri zurückzugehen, da gab es zu viele Erinnerungen. Ich machte wieder Krafttraining und manchmal auch Schießübungen. Wenn ich eine Flinte in der Hand hatte, ging es mir immer am besten. Der Kampf mit Leifur war trotz allem eine wahnsinnige Erfahrung gewesen, ich konnte mich an jede einzelne Sekunde erinnern, als wär’s gerade erst passiert. Ich brauchte nur daran zu denken, und schon ging der Adrenalinspiegel hoch. Das war ein unglaublich starkes Gefühl, das ich unbedingt nochmal erleben wollte.«
    Jóhann stand auf und streckte sich. »Und deswegen kam ich auf die Idee, das Shotgun -Spiel einfach zu wiederholen«, sagte er. »Einen würdigen Gegner zu finden und mich mit ihm zu messen, ich hatte ja nichts zu verlieren. Das Problem war nur, das Ganze zu arrangieren. Die Jagdzeit auf Gänse hatte begonnen, und überall waren bewaffnete Männer unterwegs. Ichmusste bloß an einen von ihnen herankommen. Irgendeinen Jäger mit Kampfgeist, der sich nicht widerstandslos abknallen lassen würde.«
    Bei den letzten Worten hob Jóhann das Gewehr und gab direkt über Birkirs Kopf hinweg einen Schuss ab. Es stob aus der Wandverkleidung, als die Garbe einschlug und dort ein großes Loch hinterließ. Birkir fuhr zusammen und zog unwillkürlich den Kopf ein, als der Schuss losging, richtete sich dann aber so gelassen wie möglich wieder auf und massierte sich den Nacken, denn bei der plötzlichen Reaktion hatte er sich offenbar einen Muskel am Hals gezerrt.
    Jóhann redete weiter, als sei nichts vorgefallen: »Irgendeinen richtigen Fighter, der die Traute hätte, in der Schusslinie zu stehen, ohne sich die Hosen voll zu machen. Jemand, der zurückschießen würde, wenn er angegriffen würde«, sagte er, brachte die Waffe wieder in Anschlag und ballerte noch einmal gegen die Wand.
    »In der Nacht auf den Donnerstag fuhr ich um drei Uhr zur Tankstelle an der Ártúnsbrekka und wartete dort«, sagte er. »Ich wusste, dass da in absehbarer Zeit Jäger aufkreuzen würden. Bei meinen Kontrollfahrten hatte ich beobachtet, wie sie dort tankten und sich Proviant kauften. Wonach ich Ausschau hielt, war ein Mann in Tarnkleidung, allein im Auto, das würde mein Gegner sein. Und um Punkt vier Uhr fuhr er in seinem großen Jeep vor, als hätten wir uns verabredet, tankte und kaufte sich ein Sandwich. Als er losfuhr, verfolgte ich ihn so unauffällig wie möglich auf der Ringstraße nach Mosfellsbær. Da er diese Richtung einschlug, nahm ich an, dass sein Jagdgebiet im Borgarfjörður war, aber das war nur eine Vermutung, da kamen natürlich auch noch andere Gebiete infrage. Auf Kjalarnes war es stockfinster, aber ich fuhr trotzdem ohne Licht etwa einen Kilometer hinter dem Jeep her und konnte mich nur an den gelben Markierungspfählen am Straßenrand orientieren.Das war ganz schön schwierig, denn der Kerl fuhr ziemlich zügig für isländische Verhältnisse, meist hundertzwanzig. Mein Auto hat aber ganz schön was unter der Haube, und deswegen konnte ich im Zweifelsfall auch rasch beschleunigen. Falls ein Auto entgegenkam, habe ich rechtzeitig das Licht eingeschaltet, während wir aufeinander zu hielten, und dann gleich wieder ausgemacht.«
    »Bist du ihm durch den Tunnel gefolgt?«, warf Birkir ein.
    »Nicht direkt«, entgegnete Jóhann. »Der Typ hatte auf einem Parkplatz angehalten, wahrscheinlich um zu telefonieren. Das sah ich aber erst, als ich ihn fast eingeholt hatte, und ich konnte natürlich nicht ebenfalls anhalten. Ich fuhr einfach vor ihm durch den Tunnel und habe auf dem Parkplatz am Nordende auf ihn gewartet.«
    »Ich verstehe«, sagte Birkir, biss sich auf die Lippe und dachte an die Überwachungskameras. Niemandem war eingefallen, die Autos zu kontrollieren, die vor Ólafur den Tunnel passiert hatten, nur nach ihm. Mit etwas mehr Scharfsinn und Sorgfalt in diesem Punkt hätte der Fall längst gelöst sein können.
    Jóhann schaute Birkir nachdenklich an. »Auf der Strecke nach Borgarnes bin ich etwas langsamer gefahren, und dadurch vergrößerte sich der Abstand zwischen uns«, fuhr er fort. »Ich ging wie gesagt davon aus, dass er im Borgarfjörður jagen wollte. Die Hauptstraße kannte ich bestens, weil ich öfter mal

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