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Bevor der Morgen graut

Bevor der Morgen graut

Titel: Bevor der Morgen graut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Arnar Ingolfsson
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Jugendlichen thailändischer Abstammung gab und man sich bei der Polizei überlegt hatte, dass es vielleicht sinnvoll wäre, einen Polizeibeamten aus den Reihen der Neueinwanderer zu haben. Die Idee war sicherlich gar nicht schlecht, und obwohl Birkir ein wenig klein geraten war, erwies er sich als guter Polizist. Allerdings nicht aus dem beabsichtigten Grund, denn für diese jungen Einwanderer war Birkir genauso fremd wie jeder andere Bulle, der versuchte, in Kontakt mit ihnen zu kommen. Der einzige Unterschied war der, dass er wie ein Chinese aussah.
    Birkir blieb ein paar Jahre im allgemeinen Dienst, aber dann wurde er von der Kriminalpolizei übernommen, wo er sich in erster Linie mit Gewaltverbrechen befasste. Er bewährte sich in seiner Arbeit, und es erwies sich als sehr positiv, dass er manchmal etwas anders dachte als seine Kollegen, die gebürtige Isländer waren. Er war immer misstrauisch und hatte nie eine vorgefasste Meinung. Äußerlichkeiten wie Erscheinungsbild oder Physiognomie lenkten ihn selten vom Wesentlichen ab.
    Birkir hatte zwei Hobbys, klassische Musik und Langstreckenlauf. Die Musik hielt die Psyche in Form und das Laufenden Körper, und dadurch entstand eine gute Balance. Den heutigen Tag hatte er damit begonnen, eine Strecke von zehn Kilometern zu laufen, bevor er den Dienst antrat. Dasselbe hatte er für den nächsten Morgen vor, möglichst um dann noch ein paar Kilometer anzuhängen.
    Die Pavane von Gabriel Fauré, gespielt vom Sinfonieorchester Rotterdam unter der Leitung von Jean Fournet, erklang aus den Boxen. Birkir drehte die Lautstärke auf und lauschte eine ganze Weile, ohne sich zu bewegen. Dann ging er in die Küche, machte sich einen Kakao und schlug die Sahne mit einem Handrührer.
    Neben der Stereoanlage im Wohnzimmer stand ein Bügelbrett, und zwar keiner von diesen normalen leichten Bügeltischen, die nach beendetem Bügeln zusammengeklappt und in den Schrank gestellt werden. Dieses Bügelbrett war ein robustes Möbel auf schwerem Eichenfuß und hatte dort seinen angestammten Platz.
    Birkir hatte seine Sachen für den nächsten Tag auf einen Kleiderbügel gehängt, der sich an einem Haken neben dem Brett befand, und er nahm sich jetzt seine Hose vor. Er trank den Kakao, hörte das Adagietto aus der fünften Sinfonie von Gustav Mahler, bügelte die Falten gründlich, bürstete die Fusseln von der Jacke und dachte über den Mann nach, der am Morgen dieses Tages, der jetzt zu Ende ging, am Rande eines Kartoffelackers auf so brutale Weise den Tod gefunden hatte.

Freitag, 22. September

09:30
    H ier ist es«, sagte Gunnar.
    Birkir verlangsamte das Tempo und fuhr auf einen Parkplatz. Um sie herum waren lauter moderne, große Bürogebäude, und in einem von ihnen befand sich die Rechtsanwaltsfirma von Ólafur Jónsson, seines Zeichens Anwalt am Obersten Gericht.
    Am Haus direkt vor ihnen prangte eine riesige elektronische Werbetafel mit wechselnden Bildern und einer Uhr, die mit roten Leuchtbuchstaben 9:32 verkündete, dann 9:33.
    »Die Zeit vergeht rasch in diesem Viertel«, kommentierte Birkir. Dann fragte er: »Teilen wir uns die Arbeit auf?«
    »Okay«, entgegnete Gunnar, der mit seinen klobigen Fingern an einer roten Packung mit Opal-Lakritz herumfummelte, um das letzte Stück herauszufischen.
    »Ich fahre dann los und unterhalte mich etwas genauer mit der Witwe, und du kümmerst dich um die Leute an seinem Arbeitsplatz«, sagte Birkir.
    Das letzte Stück fiel Gunnar aus der Hand. »Siehst du mein Opal irgendwo?«, fragte er und suchte Hemd und Jacke über seinem Bauch ab.
    Birkir schüttelte den Kopf: »Steig aus, dann findest du es vielleicht.«
    »Ja«, antwortete Gunnar, öffnete die Autotür und stieg schwerfällig aus.
    »Da ist es«, sagte er, als er das Lakritz auf dem Beifahrersitz sah. »Holst du mich nachher ab?«, fragte er.
    »Nimm dir ein Taxi«, antwortete Birkir und legte den Gang ein. »Es dauert vielleicht länger bei mir.«
    »Okay, mach ich.«
    Birkir fuhr los und ließ seinen Kollegen auf dem Bürgersteig zurück.
    Gunnar betrat das Bürogebäude und blickte sich um. Es war ein großes, eindrucksvolles Haus. Durch riesige Glasfronten flutete das Tageslicht bis mitten in das Gebäude, und eine breite Wendeltreppe führte in die oberen Etagen. Es gab aber auch einen gläsernen Aufzug.
    Gunnar studierte die große Informationstafel im Erdgeschoss, schwarze Buchstaben auf grauem Grund. Die Büroräume der Firma, die er suchte, Inkasso IC, befanden sich im

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