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Bevor der Morgen graut

Bevor der Morgen graut

Titel: Bevor der Morgen graut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Viktor Arnar Ingolfsson
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dritten Stock. Er warf einen sehnsüchtigen Blick zum Lift, entschloss sich aber, die Treppe zu nehmen. Bewegung konnte ihm nicht schaden, und es bestand eigentlich kein Grund zur Eile.
    Hoch oben an der Decke sah er zwei Überwachungskameras. Die eine bewegte sich geräuschlos, und die Linse war auf ihn gerichtet. Am besten benimmt man sich anständig, dachte er und nickte in Richtung der Kamera. Dann nahm er die Wendeltreppe in Angriff. Auf dem Weg nach oben sah er sich in den anderen Stockwerken um. Glas und offen gestaltete Grundrisse bestimmten die Architektur, und die Angestellten dieser Firmen litten nicht unter Platzmangel. Menschen waren kaum zu sehen. Außerdem herrschte vollkommene Stille, sodass seine eigenen, gedämpften Schritte störend wirkten. Dann hörte er plötzlich ein leises Klingeln, und der Aufzug setzte sich in Bewegung. Da er leer war, musste jemand in den oberen Etagen ihn geholt haben.
    Als er im dritten Stock angekommen war, konnte Gunnar durch eine Glaswand in die Büroräume von Inkasso IC hineinsehen. Eine Sekretärin in schwarzem Kostüm saß an einem Schreibtisch in einer Empfangshalle und arbeitete an einemDesigner-Computer. Die Schreibtischplatte war ansonsten völlig leer, noch nicht einmal ein Kugelschreiber lag herum. Die Frau saß vor einer nicht ganz bis zur Decke reichenden grauen Wand mit vier Türen.
    »Guten Tag«, sagte die Sekretärin, als Gunnar die Tür öffnete und eintrat.
    Sie hatte schwarze schulterlange Haare und trug eine schwarze eckige Brille. Obwohl sie sich Gunnar zuwandte, glitten ihre Finger weiterhin über die Tastatur.
    »Guten Tag, ich bin von der Kriminalpolizei.« Er reichte ihr seinen Dienstausweis. »Ich hätte gern mit dem Chef hier gesprochen.«
    Sie gab keine Antwort, und ihre Finger bearbeiteten weiter die Tasten. Eine Tür öffnete sich, und ein Mann erschien, der einen dunkelgrauen Anzug trug, dazu ein weißes Hemd und eine schwarze Krawatte. Sein schwarzes Haar war glatt zurückgekämmt. Er sah gut aus, aber die Züge wirkten irgendwie konturlos. Eine Schaufensterfigur mit Eiern, dachte Gunnar, während er versuchte, den Typ einzuordnen.
    »Mein Name ist Tómas Benediktsson. Bitte komm mit«, sagte der Mann zu Gunnar und öffnete eine andere Tür. »Wir, das heißt die Juristen in der Firma, sind gerade in einer Besprechung wegen der Umstrukturierungen, die uns bevorstehen.«
    Gunnar blickte wieder auf die Sekretärin, die ganz offensichtlich sein Kommen und sein Anliegen per Computer gemeldet hatte. Die Menschen hier schienen nicht viele Worte zu machen.
    Sie betraten ein kleines Konferenzzimmer mit Glastischen und schwarzen Stühlen, in dem sich keinerlei Schränke befanden. An einer Wand hing ein großes Gemälde mit expressiven Farben und grober Pinselführung.
    »Hat die Ermittlung schon etwas ergeben?«, fragte Tómas.
    Gunnar schüttelte den Kopf. »Leider nein, noch gar nichts.«
    »Also, was kann ich dann für dich tun?«
    »Du kannst mir sicher etwas mehr über Ólafur und seine Aufgabenbereiche erzählen. Hatte er irgendwelche Feinde?«
    »Er hatte zahlreiche Gegner, wie praktisch alle in unserem Metier, aber Feinde? Nein, das wohl kaum.«
    »Worin bestanden seine Aufgaben hier?«
    »Geldforderungen im In- und Ausland, wie unser Name besagt: IC steht für International Collectors. Wir arbeiten mit einem internationalen Konsortium zusammen.«
    Gunnar zückte sein Notizbuch. »C O L … wie wird das geschrieben?«
    Tómas buchstabierte das Wort langsam und deutlich.
    »Kannst du mir etwas darüber sagen, wie es dazu kam, dass Ólafur diesen Hof im Dalir-Bezirk gekauft hat?«, fragte Gunnar.
    »Das war eine kleine Gefälligkeit für einen Verwandten von ihm, für den er eine überfällige Hypothekenschuld eingeklagt hat. Er übertrug das allerdings einem anderen Rechtsanwaltsbüro, denen wir die kleineren Aufträge überlassen. In unserer Firma setzen wir die untere Grenze bei einer Million an …«
    »Einen Moment«, warf Gunnar dazwischen, »eine Million ist ja nun wirklich nicht so viel. Bestand die Forderung in einer geringeren Summe?«
    Der Jurist lächelte höflich. »Ich meinte selbstverständlich eine Million Euro, nicht Kronen. Die Forderung lag in der Tat wesentlich unter dieser Grenze.«
    »Ach so.« Gunnar lächelte nun auch, sogar so breit, dass seine Zahnlücke zum Vorschein kam. »Und dann?«
    Der Jurist zögerte ein wenig bei diesem unerwarteten Anblick, fuhr dann aber fort: »Ólafur hat das im Interesse des

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