Bevor der Morgen graut
Gläubigers mitverfolgt, auch wenn die Sache in anderen Händen lag, und als der Besitz zwangsversteigert wurde, bot er selber gegen die Rechtsanwälte der Darlehensinstitutionen, umdas Recht seines Verwandten zu sichern. Außerdem war er selber auf der Suche nach einem Landbesitz mit Jagd- und Angelmöglichkeiten, und dieses Land war trotz der Entfernung zu Reykjavík für ihn ideal. Der Preis war auch vertretbar.«
»Fuhr er oft dorthin?«
»Wann immer er Zeit hatte. Dort gibt es einen kleinen Fluss mit Forellen, und natürlich Schneehühner und Gänse. Wenn die Wetteraussichten gut waren, hat er gegen vier Uhr morgens die Stadt verlassen, um ein paar Gänse auf dem Morgenstrich zu erwischen. Anschließend kam er immer sofort in die Stadt zurück und erschien dann kurz nach elf hier im Büro. Ich habe ihn zweimal bei so einem Jagdausflug begleitet. Er hatte mich auch für gestern eingeladen, aber ich war leider verhindert, wenn man das so sagen darf.«
»Was für ein Gewehr besaß Ólafur?«
»Wurde es nicht bei ihm gefunden?«
»Nein, es war nicht da.«
»Ólafur besaß eine ganz ordentliche Waffe, eine Remington 870 Wingmaster. Ich habe eigentlich versucht, ihn zu überzeugen, dass er sich eine Automatikwaffe zulegen sollte, aber er blieb bei seiner Remington. Er war übrigens ein sehr guter Schütze.«
»Uns ist zu Ohren gekommen, dass es Unstimmigkeiten zwischen ihm und dem Pächter gab.«
»Ja, das stimmt. Der frühere Besitzer machte den Eindruck, als sei er nicht mehr ganz klar im Kopf. Ólafur hatte ihm gestattet, dort zu bleiben und das Land weiterhin zu bewirtschaften. Jemand anderes wäre vielleicht dankbar dafür gewesen, aber nicht dieser Mann.«
Der Jurist verstummte plötzlich, stand auf und warf einen Blick auf seine Armbanduhr.
»Was meinst du damit?«, fragte Gunnar, der keine Anstalten machte, sich zu erheben.
»Er hätte natürlich eine Mindestpacht zahlen müssen, die zumindest die Grundbesitzsteuer und andere öffentliche Abgaben abgedeckt hätte. Aber aus ihm war so gut wie nichts herauszuholen, und außerdem wurde er immer unverschämter und nahm schließlich auch noch Sachbeschädigungen vor.«
»Sachbeschädigungen?«
»Ja, an Ólafurs Auto und an denen von anderen, die mit ihm auf die Jagd gingen. An zwei Autos wurde der Lack eingeritzt und ein Reifen aufgeschlitzt. Und einmal wurde ihm die gesamte Jagdausbeute geklaut.«
»Hat er Anzeige erstattet?«
Tómas setzte sich wieder, bevor er antwortete: »Doch, Ólafur hat sich mit dem Bezirksamtmann in Verbindung gesetzt, aber der Alte bestritt, etwas damit zu tun zu haben, und natürlich konnte man ihm nichts nachweisen, es gab keine Zeugen, und das Interesse bei der Verwaltungsbehörde war begrenzt. Das führte dazu, dass Ólafur dem Alten formell die Pacht aufkündigte, um dem ein Ende zu bereiten.«
»Und was kam dabei heraus?«
»Die Sache liegt im Augenblick noch in den Händen des Bezirksamtmanns. Ólafur ließ durch einen Rechtsanwalt die Zwangsräumung beantragen, als der Mann nicht freiwillig gehen wollte.«
»Worin bestand die ursprüngliche Forderung?«
»Ich bin nicht mit dem Fall vertraut, kann dir aber den Namen des Rechtsanwalts geben, der damit befasst war.« Tómas schrieb etwas auf einen Zettel, der auf dem Tisch lag.
»Hat der Pächter Ólafur irgendwann einmal gedroht?«, fragte Gunnar.
»Er hat sich immer ziemlich grob aufgeführt, wenn sie miteinander sprachen. Einiges davon könnte man durchaus als Drohung bezeichnen.«
»Ist der Mann deiner Meinung nach gefährlich?«
»Ich persönlich würde es lieber nicht auf eine ernste Auseinandersetzung ankommen lassen. Unmöglich zu sagen, was so einem Menschen im Zweifelsfall einfallen kann. Ich gehe davon aus, dass er sowieso unter Verdacht steht, oder nicht?«
Gunnar beantwortete die Frage nicht, sondern stellte eine Gegenfrage: »Und was wird jetzt aus diesem Besitz?«
»Er ist ein Teil des Nachlasses. Das wird eine komplizierte Angelegenheit. Ólafur hatte drei Kinder mit zwei früheren Ehefrauen und war jetzt zum dritten Mal verheiratet. Es gibt aber einen Gütertrennungsvertrag in Bezug auf den Besitz. Ich gehe davon aus, dass ein Nachlassverwalter eingesetzt wird. Es kann durchaus sein, dass ich ein Angebot für den Hof und die Ländereien mache, um den Teil für die Familie etwas zu vereinfachen. Nach diesen entsetzlichen Ereignissen haben sie wahrscheinlich kaum Interesse, das Land zu behalten.«
»Nein, wahrscheinlich nicht«, sagte Gunnar.
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