Bevor der Tod euch scheidet (German Edition)
schreckliches Gefühl. Sie hatte Hart bedingungslos vertraut, und wenn er bloß ein Freund für sie war, dann war es endgültig vorbei. Nie wieder würde sie sich in seine Arme sinken lassen, und schon gar nicht würde sie mit ihm vor den Altar treten! Sie hatte die große und einzige Liebe ihres Lebens für immer verloren.
Schweigend begleitete er sie durch den Korridor bis zur Haustür. Während sie auf Raoul warteten, sah er sie an, was sie mit einem starren Blick erwiderte. Wie konnte es nur sein, dass der Graben zwischen ihnen jetzt noch breiter und tiefer geworden war als am Samstagabend?
„Francesca.“ Plötzlich fasste er ihren Arm, doch als er in ihre Augen schaute, ließ er sie betrübt wieder los. „Es tut mir leid. Sehr leid.“
Ihr Herz pochte wild in ihrer Brust, während sie sich ganz ruhig fragen hörte: „Liebst du mich eigentlich nicht im Geringsten?“
Ein schreckliches Schweigen schloss sich an, und dann hörte Francesca die Kutsche näher kommen. Sie fürchtete sich vor seiner Antwort.
Schließlich räusperte er sich und sagte: „Raoul ist da.“
Als Francesca einstieg, wünschte sie ihm keine gute Nacht.
DREIZEHN
Dienstag, 1. Juli 1902
10 Uhr
Das Bellevue Hospital lag am East River. Früher einmal eilte ihm der Ruf voraus, die landesweit höchste Patientensterblichkeit verantworten zu müssen. Doch diese Zustände waren inzwischen Jahrzehnte her, und seit der Mitte des 19. Jahrhunderts waren gewaltige Anstrengungen unternommen worden, um das Bellevue in eine erstklassige Behandlungs- und Lehreinrichtung zu verwandeln. Die meisten Insassen wurden in andere Institutionen verlegt, womit die geschlossene Anstalt nur noch ein Zehntel ihrer ursprünglichen Größe besaß. Den größten Teil der verbliebenen Patienten hatte man auf Blackwell Island untergebracht, sodass im Bellevue selbst nur recht wenige, ausgesuchte Fälle behandelt wurden. Seit 1891 waren umfangreiche Renovierungsarbeiten in Gang, und viele der Stationen waren inzwischen so modern, so gut ausgestattet und personell so hervorragend besetzt, dass es lange Wartelisten gab, um überhaupt einen Behandlungstermin zu bekommen. Der gesamte Komplex belegte drei Häuserblocks zwischen der dreiundzwanzigsten und der sechsundzwanzigsten Straße.
Francesca hatte sich für zehn Uhr an diesem Morgen mit Bragg in der Lobby verabredet; es wäre ein Umweg gewesen, erst zum Polizeihauptquartier zu fahren und ihn dort abzuholen. Sie war auf dem Weg zum Eingang der Station für Innere Medizin, als sie ihn hörte, wie er ihren Namen rief.
Es war ein angenehmer Sommertag. Die Vögel zwitscherten in den Baumkronen, die Sonne schien von einem strahlend blauen Himmel herab. Noch während sie sich umdrehte, setzte Francesca eine gut gelaunte Miene auf. Bragg kannte sie einfach zu gut, und sie hatte keine Lust, jetzt mit ihm über Hart zu reden. Dessen Verhalten am Abend zuvor machte es ihr jetzt nahezu unmöglich, sich auf den Fall zu konzentrieren.
„Auf die Minute pünktlich“, sagte er lächelnd, während er aus seinem in zweiter Reihe geparkten Automobil ausstieg.
Einen Moment lang musste sie an Harts Worte denken, Bragg sei der perfekte Mann für sie. Er kam auf sie zu, ein großer, gut aussehender Mann, dessen Moralvorstellungen sich genau mit ihren deckten. Als sein Lächeln verblasste, hielt sie sich vor Augen, dass sie beide die gleichen Hoffnungen und Träume für eine bessere, gerechtere Welt hegten. Aber sie liebte Hart. Sie konnte sich nicht erinnern, dass sie jemals so besorgt gewesen war, während ihr zugleich übel war und sie sich benutzt fühlte.
Sollte er tatsächlich fähig sein, sich von der Zukunft loszusagen, die sie beide für sich geplant hatten?
Bragg fasste ihren Arm und sah sie forschend an. „Stimmt irgendetwas nicht?“
„Ich habe gestern Abend vergessen, dich anzurufen. Ich wollte dich wissen lassen, dass Bill Randall und eine weitere Person sich in der alten Randall-Residenz einquartiert haben.“
„Das ist eine wichtige Nachricht. Kaum zu glauben, dass du vergessen hast, mich anzurufen. Lass mich raten: Du warst abgelenkt.“
„Ja.“
Er legte beide Hände auf ihre Arme. „Du wirkst sehr aufgewühlt.“
Sie zitterte, aber seine Berührung wirkte wie immer beruhigend auf sie. „Du solltest ein Kommando hinschicken. Ganz bestimmt wirst du ihn früher oder später zu fassen bekommen.“ Endlich konnte sie sich zu einem Lächeln durchringen. „Hoffentlich ist er derjenige, der weiß, wo das
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