Bevor du stirbst: Roman (German Edition)
allein kommen und mit niemandem reden. Er weiß, dass er die Fresse halten muss. Verlass dich auf mich.«
Stefan nickte kurz und schaute in den grünen Park. Ulrik hatte recht. Swan würde dichthalten, seinen Kram kaufen und dann verschwinden. Und sie selbst würden in aller Ruhe zechen können und dann zu der illegalen Kneipe in Hammarbyhamnen weiterfahren. Es würde ein guter Abend werden.
Ein richtig guter Abend.
Stockholm 2010
Der Medborgarplatz kauert sich im Regen zusammen. Einsame Stockholmer ziehen die Köpfe ein und laufen im gedämpft sepiabraunen Nachmittagsdunkel über den Platz. In dem Moment, in dem ich vor dem Tor den Regenschirm zusammenklappe, gehen die Straßenlaternen an.
Ich bin munter, fast schon euphorisch. Nicht vor Freude, sondern aus einem anderen Grund. Aufregung, ein Gefühl, dass etwas plötzlich in Reichweite liegt: die Wahrheit.
Plötzlich bin ich sicher, wie alles zusammenhängt. Jemand in Stefans Clique hatte mit Nicklas’ Verschwinden zu tun, und dieser jemand war bereit, weit zu gehen, um sein Geheimnis zu vertuschen.
Wie weit? Weit genug, um Anders Holmberg und Anna Kantsow zu ermorden?
Plötzlich habe ich das Bedürfnis, meine Gedanken an jemandem zu testen. Meine Theorien bestätigt zu bekommen. Ich schüttele den dunkelblauen Regenschirm mit dem Logo des Pharmakonzerns ein letztes Mal und ziehe mein Telefon hervor.
Vijay antwortet nicht, und ich habe keine Lust, eine Mitteilung zu hinterlassen. Ich schließe die schwere Sicherheitstür zur Praxis auf und gehe hinein. Es ist dunkel und leer. Sven ist bei einem Kurs, und Marianne hat heute früher Feierabend gemacht. Wo Aina steckt, weiß ich nicht.
Ein leichter Geruch nach Kaffee und Putzmittel hängt in der Luft. Ich mache in der Rezeption Licht und gehe in mein Zimmer, das grüne Zimmer, wähle Ainas Nummer und rufe sie an.
»Hallo?«, fragt sie nach zwei Klingeltönen. Ihre Stimme klingt atemlos, und ich habe das Gefühl, sie bei etwas Wichtigem gestört zu haben. Ich gehe zum Fenster, schaue auf den Medborgarplatz, der rasch in der Dunkelheit versinkt.
»Störe ich?«
Sie kichert.
»Nicht direkt. Ich mache Yoga.«
Ich stelle mir Aina im Delphin, Fisch oder Hund, oder wie das heißt, vor. Schaue auf den Platz, der plötzlich seltsam leer ist, und streife dabei die Lederjacke ab.
Unten ist nur eine Gestalt zu sehen. Ein Junge mit halblangen weißblonden Haaren und einer Schultertasche. Er läuft durch die Schatten vor dem Forsgrenska-Bad. Und ich staune darüber, wie sehr er Nicklas Swan ähnelt. Nur einige Jahre älter. Als wäre er niemals verschwunden, sondern einfach nur eine Cola kaufen gegangen.
»Hallo? Bist du noch da?«, höre ich Aina aus der Ferne fragen.
Ich schaue verständnislos das Telefon in meiner Hand an, schaue dann wieder aus dem Fenster.
Aina öffnet mir in Trainingshose und einem engen Top. Sie hat die Haare auf ihrem Kopf zu einem Dutt hochgesteckt und sieht aus wie die Kleine My aus den Muminbüchern.
»Komm rein. Aber schnell, verdammt. Du bringst Kälte mit.«
Unsanft zieht sie mich in ihre dunkle Diele und knallt die Tür hinter mir zu.
»Heute musst du dir die Schuhe selbst ausziehen, Prinzessin.«
Aina ändert sich nicht, ist eine Konstante in meinem turbulenten Dasein. Manchmal noch mehr, ein Rettungsring vielleicht.
»Möchtest du etwas? Cola, Tee, Schwarzgebrannten?«, fragt sie dann.
»Was nimmst du denn?«
Sie sieht plötzlich müde aus, und mir fällt auf, dass ihre Augen rot sind. Ihre Wangen wirken geschwollen, und die Nagelhaut ist gerötet, als ob sie daran genagt hätte.
»Ich hab einen Kater, hab mir heute Nachmittag freigenommen«, murmelt sie und wendet rasch ihr Gesicht ab.
»Ich kann dir einen Wodka mit Kopfschmerzmittel und Eis und Zitrone machen«, biete ich an.
Sie grinst, verschwindet in der Küche. Ich höre das Wasser laufen, als sie die Teekanne füllt. Ich gehe hinterher, setze mich auf einen der abgenutzten Holzstühle, zünde das Teelicht auf dem Tisch an. Draußen senkt sich die Dämmerung über die Allhelgonakirche. Die Straße liegt leer und regenblank im Dunklen. Nicht einmal die Hundebesitzer mit ihren pinkelbedürftigen Haustieren scheinen an diesem Abend losgehen zu wollen.
Ich zögere.
»Aina, ich glaube, ich weiß jetzt, wie der Tod von Stefan mit dem von Anders zusammenhängt. Ich weiß, warum sie sich in dem Frühling getroffen haben, in dem Stefan gestorben ist.«
Ich kann meine Erregung kaum verbergen, stolpere über die Wörter,
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