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Bevor du stirbst: Roman (German Edition)

Bevor du stirbst: Roman (German Edition)

Titel: Bevor du stirbst: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Camilla Grebe , Åsa Träff
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erzähle alles in der falschen Reihenfolge. Aina kehrt mir den Rücken zu, gießt Tee in die Tassen, und obwohl ich ihr Gesicht nicht sehen kann, ahne ich, dass ihr das, was sie hier hört, nicht gefällt. Ihre Haltung ist angespannt, ihre Bewegungen sind steif.
    Plötzlich hebt sie die Hand, noch immer ohne sich umzudrehen.
    »Hör auf«, murmelt sie. »Hör auf, ich kann das nicht mehr hören. Siri, es gibt keine Verschwörung, Stefan hatte keine finsteren Geheimnisse. Er war einfach ein normaler Mann mit … Fehlern und Schwächen, genau wie alle anderen.«
    »Du hast noch nicht alles gehört«, falle ich ihr ins Wort. »Es gab einen Jungen an ihrer Schule, Nicklas Swan hieß der …«
    »Hör auf«, schreit sie, dreht sich um und knallt die Teetasse vor mir auf den Tisch. Sie lässt sich mir gegenüber auf den Stuhl sinken, stützt das Gesicht in die Hand, sieht mich mit einem so leeren Blick an, dass es mir Angst macht.
    »Stefan hat sich in diesem Winter nicht mit Anders getroffen.«
    Ich starre sie ungläubig an.
    »Woher willst du das wissen? Du hast doch seinen Kalender gesehen.«
    »Weil A nicht Anders bedeutet«, sagt sie sehr langsam und betont zugleich jede Silbe, als wolle sie sichergehen, dass ich es verstehe.
    »Wie meinst du das?«, flüstere ich.
    »A bedeutet Aina. Stefan hat sich mit mir getroffen.«
    Ich schaue auf, schüttele den Kopf.
    »Du und Stefan? Ihr habt euch getroffen? Aber warum denn bloß?«
    Sie wendet sich ab, schaut aus dem Fenster, knabbert an ihrem Zeigefinger.
    Die Erkenntnis hat in mir noch immer nicht richtig Wurzeln geschlagen. Ich ahne die Wahrheit, wie man unten in einem See etwas Kaltes und Schleimiges ahnt, versuche vergeblich, mich davon zu entfernen. Will zurück an eine sichere Stelle, auf festen Boden. In mein Leben, wie es bis heute ausgesehen hat.
    »Nein!«, hauche ich.
    Aina richtet ihren leeren Blick auf mich.
    »Doch«, sagt sie mit müder Stimme. »Es tut mir so leid. Aber so war es eben. Wir haben uns in diesem Frühling getroffen. Bis er gestorben ist, dieser Anders. Ich glaube, dass Stefan dann genug hatte. Es wurde einfach zu viel. Unsere Beziehung. Sein alter Schulfreund, der ermordet worden war. Seine Depression. Und da haben wir aufgehört.«
    Der Raum schwankt.
    Plötzlich stehe ich auf dem Eis in der Bucht vor meinem Haus. Ainas Gesicht verschwimmt und verschwindet, während das Eis um mich herum nachgibt. Schwarzes Wasser, das zwischen meinen Füßen aufquillt.
    »Nein!«, schreie ich, aber es ist zu spät.
    Das Meer öffnet seinen gewaltigen Schlund, und ich stürze in die schwarze Kälte. In die Finsternis, in den Tod. Zu Stefan und Anders. Tausend tote Arme ziehen meinen Leib nach unten. Fort von allem, was ich geliebt und woran ich geglaubt habe. Ich sterbe, denke ich. Ich sterbe. Ich ertrinke wie Stefan und Anna in dem schwarzen Wasser.
    Jetzt bin ich tot.
    Das ist alles. Ich bin tot, sitze aber noch immer an Ainas Küchentisch, ohne irgendetwas zu empfinden. Aina sitzt mir gegenüber, schaut mich aus leeren, rot geränderten Augen ausdruckslos an.
    »Siri«, sagt sie flehend und hebt langsam beide Hände an ihr Herz.
    Aber jetzt bin ich es, die die Hand hebt.
    »Ich will kein Wort mehr hören. Ich will dich nie wiedersehen.«
    Das sage ich ruhig, denn ich fühle mich ruhig. Ruhig und seltsam leer. Von Gefühlen und Gedanken gereinigt. Eine Schale ohne Inhalt.
    »Das wird dir vielleicht erspart bleiben«, sagt sie und sieht mich weiter mit diesem leeren Blick an. »Ich habe Krebs, Siri.«

Auf der Götgata sind Menschen unterwegs, aber ich sehe sie nicht. Autos und Busse und Mopeds fahren auf der Straße, aber ich bemerke sie nicht. Ich wandere einsam über einen leeren dunklen Platz, den Gefühle oder Gedanken nicht erreichen.
    Ich gehe in die Söderhallen und dort weiter zum Alkoholgeschäft. Es gibt keine Schlangen, obwohl sie bald schließen. Die Frau mit den roten Haaren und dem grünen Kittel sieht mich fragend an.
    »Sechs Flaschen Côtes du Rhône«, sage ich.
    Der Heimweg. Schwarzer Nadelwald, der vor dem Fenster vorüberfliegt. Eine Mauer aus schmutzigem Schnee zieht sich wie eine endlos lange Schlange am Straßenrand dahin. Immer, wenn der Bus über einen Huckel fährt, klirren die Flaschen in den lila Plastiktüten. In mir gibt es nur Leere. Die Welt – eine andere als heute Morgen, als ich mit diesem Bus zur Arbeit gefahren bin.
    Wenn Aina gesagt hätte, der Mond sei vom Himmel gefallen, hätte mich das nicht mehr überrascht. Mir

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