Bevor du stirbst: Roman (German Edition)
lassen und am Ende versprochen hatte dichtzuhalten. Er hatte mit ihnen den Pakt geschlossen. Und jetzt warteten sie nur auf einen Anruf, dann würden sie aufbrechen. Micke hatte den Wagen mit dem Heck zur Garage und zum Nebeneingang des Hauses geparkt. Es ging auf sechs Uhr zu, und in den Gärten der Nachbarschaft war jetzt alles ruhig.
Die Gartengeräte lagen in den Schuppen, und die Kinder waren zum Abendessen ins Haus gerufen worden. Als das graue Telefon klingelte, fuhr Stefan dennoch zusammen. Er hörte, wie Micke da unten den Hörer abnahm und dann ein gemurmeltes Gespräch führte. Er ging auf die Treppe zu. Wusste, dass es jetzt so weit war.
Micke hatte den Hörer aufgelegt, als Stefan nach unten kam. Stand bleich und starr neben seinem Schreibtisch, auf dem sich Schulbücher und Notizblöcke mit LP s und Zeit schriften drängten. Sie hatten Mickes Zimmer so gelassen, wie es war. Dachten, seine Mutter könnte misstrauisch werden, wenn dort plötzlich aufgeräumt wäre.
»Wir fahren jetzt, sehen uns in einer Stunde in der alten Werft.« Micke wich seinem Blick aus, schaute stattdessen aus dem Fenster.
»Da scheint alles ruhig zu sein. Wir machen das jetzt. Ich kann einfach nicht länger warten.« Er zog ein wenig an einer roten Locke, eine gewohnheitsmäßige Geste, ohne einen besonderen Hintergedanken. Stefan nickte nur. Fing für einen kurzen Moment den Blick seines Freundes ein. Sah Verwirrung und Angst.
Der Leichnam war schwer.
Viel schwerer, als man sich das vorstellen konnte.
Er war in Mickes alten Teppich gewickelt, und aus einiger Entfernung sah er absolut unschuldig aus. Hoffentlich würde niemand sie sehen. Kein neugieriger Nachbar durfte über den Zaun schauen und sehen, was sich hinter Thujen und Tannen abspielte. Sie mühten sich mit dem Leichnam zu dem blauen Volvo-Kombi. Der Kofferraum war geöffnet, und gemeinsam konnten sie das Bündel hineinwuchten. Mit Hilfe eines he runtergeklappten Sitzes konnten sie den Leichnam längs le gen.
Stefan versuchte, sich vorzustellen, es sei ein Teppich, ein Paket, aber das war unmöglich, und schon wurde ihm wieder schlecht. Er verspürte eine Sehnsucht danach, sich zu übergeben, dazu Angst und Entsetzen. Er musterte den Teppich und sah eine weiße Frotteesocke hervorlugen. Rasch wandte er sich ab. Wich zurück und ließ sich ins Gras sinken.
Fällt er in die Hecken, fressen ihn die Schnecken,
fressen ihn die Müllermücken, die ihn vorn und hinten zwicken.
Micke warf eine karierte Decke über Teppich und Leichnam und bedeckte alles noch mit zwei auseinandergeklappten Umzugskartons. Für den Moment ging das. Wenn man sich das Auto nicht näher ansah, schien der Kofferraum einfach mit Müll gefüllt zu sein. Micke saß schon hinter dem Lenkrad, und Stefan setzte sich neben ihn.
»Findest du den Weg?«
Micke blickte aus dem Augenwinkel zu Stefan hinüber und ließ den Motor an. Stefan nickte kurz.
»Ja, ich war schon mal mit Anders da. Es gibt so eine Art altes Hafenbecken, man kann schnorcheln und sich Reste alter Schiffswracks ansehen, eigentlich ziemlich stark.« Er staunte über seinen eigenen alltäglichen Tonfall. Wie konnte er nur so tun, als wären sie auf einem ganz normalen Ausflug? Plötzlich bremste Micke.
»Oh verdammt. Meine Mutter.«
Agneta Arvidsson stieg aus einem dunkelblauen Taxi. Ein kräftiger Fahrer mit weißem Bart öffnete den Kofferraum und nahm zwei grellbunte Duty-Free-Tüten und die weiße Reisetasche heraus und reichte sie Agneta. Die Tüten waren vollgestopft, und Stefan erkannte den Hals einer Bacardiflasche und eine Zigarettenstange, die aus der einen Tüte ragte.
Mickes Mutter sah müde aus. Sie war geschminkt und trug eine weit ausgeschnittene Bluse und ein Sakko mit Schulterpolstern und an den Füßen hochhackige rote Pumps. Obwohl sie sich solche Mühe mit ihrem Aussehen gegeben hatte, waren unter ihren Augen schwarze Ringe zu sehen, und ihr Blick war stumpf. Sie lächelte müde, als sie Micke sah, und winkte ihn zu sich. Stefan sah zu, wie Micke ausstieg und seine Mutter umarmte, und sie streichelte seine Haare und lächelte.
Der Anblick der beiden hatte etwas Rührendes, sie erinnerten an die Überlebenden einer Naturkatastrophe, die einander umarmen. Micke zeigte und gestikulierte zum Auto hinüber, und zuerst schüttelte Agneta den Kopf. Stefan merkte, dass er kalt und starr wurde. Was sollte das denn? Durfte Micke das Auto nicht benutzen? Agneta legte den Kopf schräg und hörte Micke zu, und der
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