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Bevor du stirbst: Roman (German Edition)

Bevor du stirbst: Roman (German Edition)

Titel: Bevor du stirbst: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Camilla Grebe , Åsa Träff
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Aber ihr Kinn hängt schlaff auf ihrer Brust, und sie bricht wie ich auf dem kalten Terrakottaboden zusammen.
    Micke sinkt neben ihr auf die Knie.
    »Mama, kleine Mama. Verzeih mir. Es ist besser so.«
    Mikael schreit auf. Er geht zur Teeküche, schreit nochmals auf, fällt abermals auf die Knie und keucht, wie nach einem Hundertmeterlauf. Ich versuche, so still zu liegen, wie ich nur kann.
    Er kommt zurück, geht neben seiner Mama in die Hocke. Schüttelt sie.
    »Schlaf noch nicht, bitte. Du. Mama.«
    Aber sie reagiert nicht. Ihr Körper ruht schlaff in Mickes Umarmung.
    Er richtet sich auf, dreht sich zu mir um.
    »Das ist deine Schuld, Siri. Deine Schuld!«
    Er kommt auf mich zu, und ich versuche zu entkommen. Krieche über den kalten Boden, um meinem Verfolger zu entgehen. Der Schnee fällt jetzt wieder. Die Flocken schmelzen in den Lachen aus meinem Blut. Unter mir verblassen die Terrrakottafliesen, werden in Eis verwandelt.

Stockholm 1988

Im Haus war alles still. Micke saß auf dem Sofa in seinem Kellerraum und starrte vor sich hin. Er hatte seit Stunden nichts mehr gesagt. Stefan fiel es schwer, still zu sein. Er lief durch das Haus, die Treppe hoch, sah sich im Erdgeschoss um. Das Wohnzimmer war sorgfältig gesäubert worden. Stefan hatte staubgesaugt und Micke den Boden geputzt. In der Küche stand eine benutzte Kaffeetasse, sonst war alles gespült und weggeräumt. Es war schwer, sich das vorzustellen, was sich vor weniger als vierundzwanzig Stunden in diesem gepflegten Wohnzimmer zugetragen hatte. Und die Vorstellung, dass Nicklas Swans Leichnam in einen Teppich eingewickelt unter Mickes Bett lag, war unbegreiflich.
    Stefan versuchte, sich die Angst vom Leib zu halten. In Gedanken sagte er alte Kinderverse auf, die seine Mama ihm in einem anderen Leben vorgelesen hatte, vor hundert Jahren. Wie ein Mantra flüsterte er die Strophen von Hoppe, hoppe Reiter . Alles, damit die Angst sich nicht in ihm festsetzen könnte. Dennoch kehrte er immer wieder zum Vorabend zurück. Was war passiert, und wie hatte es passieren können? Stefan hatte sich nie für einen schlechten Menschen gehalten. Trotz seiner Diskussionen mit Anders darüber, dass es kein Gut und Böse gebe, wusste er jetzt, dass das doch der Fall war. Es gab das Böse, böse Menschen und böse Taten.
    Was mit Nicklas Swan passiert war, war eine böse Tat gewesen, aber machte es sie zu bösen Menschen? Er dachte an Micke, der unten in seinem Kellerraum saß. Micke, den er immer als freundlichen, fast schwachen Menschen betrachtet hatte. Als jemanden, der lieber mit einem Buch zu Hause saß, statt sich in der Stadt herumzutreiben. Micke, dessen Liebe und Fürsorge für seine Mutter aus allem sprach, was er sagte und tat. Micke, der gestern Abend den ersten Tritt gegen Nicklas Swans Kopf gerichtet hatte. Wie passte das zusammen? Wie hatte es geschehen können? Und Ulrik, der zwar spöttisch und bisweilen stur sein konnte. Aber auch ruhig und zuverlässig. Ein schwarzgekleideter magerer Neunzehnjähriger, mit zu großem Adamsapfel und traurigen Augen. War er böse? Ulrik, der Einzige, der sich gegen Anders’ Plan geäußert hatte. Ulrik, der zur Polizei gehen wollte.
    War das das Böse?
    Stefan ließ sich auf einen Stuhl am Küchentisch sinken und schaute aus dem Fenster. Er dachte an Anders, der alles getan hatte, um sicher und stark zu wirken. Er kannte Anders so gut und wusste, dass er in Panik war. Anders, der das Leben immer als gedeckten Tisch zu sehen schien, voller Möglichkeiten, bei denen man nur zuzugreifen brauchte. Anders, der sich von nichts und niemandem aufhalten ließ. Der Mensch, den er, neben seinen Eltern, auf dieser Welt am besten kannte, der sein Freund geworden war und ihn auf fast magische Weise aus der Tristesse des Vorortes gerettet hatte. Ihn zu einem neuen Menschen gemacht hatte. Anders, der jetzt versuchte, die Situation unter Kontrolle zu bringen, der aber in Wirklichkeit Todesängste litt. War er böse?
    Stefan wollte es nicht glauben. Konnte es nicht. Er wollte nicht akzeptieren, dass es böse Menschen gab, aber zugleich hatten sie die böseste Tat begangen, die ein Mensch überhaupt begehen kann. Wie war das möglich gewesen? Es gab keine Antwort.
    Hoppe, hoppe, Reiter, wenn er fällt, dann schreit er,
    fällt er in den Teich, find’t ihn keiner gleich.
    Anders und Ulrik waren zu Anders nach Hause gefahren, um den Schlüssel für das Boot zu holen. Ulrik, der sich bleich und verbissen von den anderen hatte überreden

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