Bevor du stirbst: Roman (German Edition)
hat.«
»Wie meinen Sie das, dass sie die Schwäche ausgenutzt hat?«
Sie lächelt traurig, fährt sich mit zerstreuter Miene über die nackten Arme.
»Darius hat Staatswissenschaft studiert. In seinem Kurs war diese Alexandra, und sie war total verknallt in ihn. Und Darius ist ja eben so. Er begriff nicht, dass sie nur mit ihm spielen wollte, dass sie seine Sehnsucht nach Bestätigung ausnutzte. Ihn manipulierte. Obwohl sie wusste, dass er mit mir glücklich war. Ich weiß noch, wie mir zuerst aufgegangen ist, dass etwas nicht stimmte. Wir saßen an einem späten Abend zu Hause und büffelten fürs Examen, aber Darius konnte sich nicht konzentrieren. Er redete über sie, über ihren Bruder, der Krebs hatte, und über ihren Vater, der nach Polen zurückgegangen war und Frau und Kinder in Schweden gelassen hatte. Darüber, wie schwer ihr Leben gewesen war. Als ob das für ihn eine Rolle spielen könnte. Zuerst reagierte ich nicht so darauf, dass diese Alexandra immer wieder in unseren Gesprächen auftauchte. Aber dann spürte ich, dass etwas nicht stimmte. Und dann begriff ich. Er musste sie einfach immer wieder erwähnen, weil er in sie verliebt war. Wahrscheinlich war ihm das damals selbst noch nicht klar, es gab nur jede Menge Gefühle und Gedanken, die an die Oberfläche steigen mussten. Aber ich wusste es, ich kannte ihn ja in- und auswendig.«
Sie verstummt und spielt an der Schachtel mit den Papiertüchern herum, die auf ihrem Knie steht, streichelt die Schachtel wie eine Katze.
»Was passierte dann?«
»Sie trafen sich häufiger, das habe ich später herausgefunden. Aber er hat es nie zugegeben. Damals nicht. Er änderte sich nur. Wurde schweigsam. Wollte nicht mehr mit mir über wichtige Dinge sprechen. Schloss mich aus. Und dann hatten wir keinen Sex mehr, obwohl wir immer verrückt nacheinander gewesen waren. Und obwohl ich doch weiß, dass er mich noch immer wollte und mich liebte. Ich wusste ja natürlich, was da vor sich ging, aber ich begriff auch, warum. Dass er mit seinem ungeheuren Bedürfnis nach Bestätigung zu einer leichten Beute wurde für diese … Egal. Eines Morgens im Juni wurde ich wach, und er war einfach verschwunden. Der Verlobungsring lag auf dem Nachttisch. Er hatte einen Zettel danebengelegt. Und auf den Zettel hatte er geschrieben: ›Verzeih mir.‹«
Ich nicke. Sie erzählt durchaus keine ungewöhnliche Geschichte. Ich hatte schon viele Klienten, die nach einer überraschenden Trennung oder Scheidung in eine Krise geraten waren.
»Sie haben erwähnt, dass Ihre Freunde meinen, Sie müssten weiterkommen. Was glauben Sie, warum sagen die das?«
»Das hat sicher mit den Möbeln und allem zu tun«, murmelt sie.
»Den Möbeln?«
Sie erwidert meinen Blick.
»Ich habe seine Sachen noch alle«, sagt sie mit einem gewissen Trotz in der Stimme. »Er hat gesagt, ich sollte sie einfach wegwerfen, aber ehrlich gesagt gebe ich der Beziehung von Alexandra und Darius keine größere Chance als einem Softeis im Sonnenschein. Sie passen nicht zueinander. Darius ist viel zu empfindsam für sie. Er braucht eine, die ihn versteht. Eines Tages …« Sie zögert, schaut mich forschend an, als frage sie sich, ob sie mir vertrauen kann. »Eines Tages kommt er zurück, da bin ich mir sicher.«
Ich schaue auf meinen Block, der jetzt von allerlei geometrischen Figuren und einigen kurzen Notizen bedeckt ist.
»Darf ich eine Frage stellen? Meinen Sie nicht, dass Sie Darius in dieser Sache entmündigen? Und wäre es möglich, dass Sie dieser anderen Frau zu große Macht zuschreiben? Zu sagen, er sei in diese Beziehung hineingelockt worden, kann doch eine Möglichkeit sein, um ihm die Verantwortung zu nehmen.«
»Bei jedem anderen außer Darius würde ich Ihnen recht geben. Aber er ist wirklich … ein großes Kind. Ich kann verstehen, dass Sie das nicht so sehen, aber ich glaube, dass sie ihn manipuliert hat. Das Problem ist, dass so etwas auf Dauer nicht gutgeht. Man kann keine Beziehung auf Lügen aufbauen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis alles zusammenbricht. Deshalb habe ich alles so gelassen, wie es war. Habe noch alle seine Möbel und Kleider. Und das regt meine Freunde jetzt so auf.«
»Sie wohnen also noch immer in dieser Studentenwohnung?«
Abermals warte ich ab, lasse das Schweigen wirken, lasse ihr Zeit, um die richtigen Worte zu finden.
Sie nickt.
»Was haben Sie für einen Beruf?«
Sie schüttelt den Kopf so heftig, dass die hochgesteckten Haare hin und her wippen.
»Ich
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