Bevor du stirbst: Roman (German Edition)
Kopf.
»Stig und ich leben nicht mehr zusammen. Nach Stefans Tod haben wir festgestellt, dass wir einander nicht mehr sehr viel zu sagen hatten.« Sie lächelt bedauernd, als fürchte sie, diese Mitteilung könne mich enttäuschen. »Ein Kind zu verlieren hat eine seltsame Wirkung auf eine Beziehung. Und man trauert auf unterschiedliche Weise. Stig konnte nie darüber sprechen, was mit Stefan passiert war. Er wollte weiterkommen. Und ich …«
Wieder dieses bedauernde Lächeln. Ich denke, dass es traurig ist, dass Maj und ich nach Stefans Tod nie miteinander gesprochen haben. Wir hätten einander vielleicht eine Stütze sein können. Aber ich kapselte mich ein, ließ niemanden in meinen Raum des Schmerzes. Er war meine eigene, private Domäne, wo ich meine Trauer mit einer erschreckenden Intensität pflegte.
Ich folge Maj in die Küche und setze mich auf die alte Küchenbank. Alles ist so vertraut. Hier haben Stefan und ich bei so vielen Essen sonntags, zu Ostern und zu Weihnachten gesessen. Da liegt die hellgelbe Tischdecke mit den blauen Blumen, ein Mitbringsel aus der Provence. Die geschmackvolle, dezente Kunst an den Wänden, die dänische Designerlampe. Alles, was wohlhabende Mittelklasse mit kulturellen Ambitionen signalisiert.
Maj bietet Tee und selbstgebackenes Sauerteigbrot an. Scherzt darüber, dass sie in ihrem neuen Dasein als Rentnerin nichts Besseres zu tun hat, als mit den Eltern im Erziehungsurlaub darum zu wetteifern, wer den besten Teig ansetzen kann. Maj hat ihr ganzes Erwachsenenleben an einem Gymnasium Sprachen unterrichtet, nur nicht in den Jahren, als Stefan klein war.
»Was machst du denn jetzt so, Siri?«
Sie schaut mich neugierig an.
»Das Übliche eigentlich. Die Praxis, du weißt schon. Ich, Aina und Sven.«
»Und wie geht es dir? Lebst du allein oder hast du jemanden kennengelernt?« Ihre Fragen kommen vorsichtig, behutsam, sie scheint sich über ganz dünnes Eis zu bewegen. Wägt jeden Schritt ab, versucht zu berechnen, ob die brüchige Unterlage halten kann.
»Ich lebe mit einem Mann zusammen. Markus. Er ist bei der Polizei. Und wir haben einen kleinen Jungen. Erik. Er wird bald zwei. Jetzt, im April.«
Ich sehe, wie Maj erstarrt, und für einige Sekunden fällt es ihr sehr schwer, ihre Gesichtszüge zu beherrschen. Sie verzieht ganz leicht das Gesicht, vor Schmerz vielleicht oder vor Neid. Und ich fühle mich schuldig. Wegen meines Glücks. Wegen der Tatsache, dass Stefan tot ist, während ich noch lebe. Weil seine Mutter hier sitzt, einsam in einer Fünfzimmerwohnung in Vasastan. Ohne ihren Sohn, ohne das Enkelkind, nach dem sie sich so sehr gesehnt hat. Dann lächelt Maj wieder und ist wie immer. Freundlich, wohlwollend, froh meinetwegen.
»Aber wie schön für dich, Siri. Wirklich.« Sie streckt die Hand aus und streift meinen Arm, wie um zu betonen, dass sie das wirklich so meint.
Wir nippen am Tee und füllen weiter die Zeitlücke, die seit unserer letzten Begegnung entstanden ist. Maj erzählt, dass Stig ins Sommerhaus der Familie in Schonen gezogen ist, während sie selbst nach der Scheidung die Wohnung in der Stadt behalten wollte. Ich erzähle von meinen Eltern. Dass sie noch in ihrem Haus in Segeltorp wohnen, dass sie jetzt aber beide im Ruhestand sind.
»Aber ich wollte dich etwas ganz anderes fragen.« Ich bücke mich und hebe meine Handtasche hoch. Ziehe die Mappe mit Stefans Papieren hervor und nehme die Todesanzeige heraus. Maj nimmt das dünne Stück Papier und hält es mit beiden Händen fest. Legt es dann auf die Tischdecke und streicht es vorsichtig glatt, während sie ihre Lesebrille aufsetzt.
»Anders.« Sie nickt und macht ein trauriges Gesicht.
»Maj, wer ist er? Und woher kannte Stefan ihn?«
»Anders Holmberg und Stefan waren früher eng befreundet. Sie gingen auf dem Gymnasium in dieselbe Klasse. Auf den naturwissenschaftlichen Zweig des Norra Real Gymnasiums. Sie waren wirklich gute Freunde. Unzertrennlich, die beiden. Zeitweise hat Anders fast bei uns gewohnt. Es war, wie zwei Söhne zu haben.«
»Und was ist dann passiert?«
»Das weiß ich eigentlich gar nicht. Er kam ums Leben, wurde offenbar überfallen, als er auf dem Weg zu seiner Familie war. Wir haben in der Zeitung darüber gelesen. Entsetzlich.«
Maj schüttelt den Kopf. Wie um zu betonen, dass es auf der Welt nicht gerecht zugeht.
»Weißt du, ob sie noch Kontakt hatten nach dem Abitur?«
Ich denke an den abgegriffenen schwarzen Kalender, an die Notizen über die wiederholten
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