Bevor du stirbst: Roman (German Edition)
Sessel, bilden in dem grauen Schaffell kleine Pfützen.
»Ich verstehe einfach nicht, wozu das hier gut sein soll.«
»Warum sind Sie dann hergekommen?«
Ein kurzes, freudloses Lachen. Sie verdreht die kleinen hellen Augen.
»Das habe ich doch schon gesagt. Meine Freunde meinten …«
»Ja …?«
Ihre Haltung wird lockerer, und sie stößt ein kurzes Lachen aus.
»Die halten mich für verrückt oder so.«
»Und was meinen Sie?«
Wieder zuckt sie mit den Schultern.
»Verrückt, nein. Aber ich kann verstehen, dass es schon seltsam wirken kann, dass ich noch immer Darius’ Kram in der Wohnung habe und so. Aber eigentlich bin ich ganz normal. Das können Sie mir glauben. Ich bin nicht verrückt.«
»Das glaube ich auch nicht. Aber ich frage mich, was Sie mit der Therapie erreichen wollen. Welches Ziel haben Sie? Dann wenn alles so gut ist, wie Sie behaupten, brauchen wir dieses Gespräch doch eigentlich gar nicht.«
Caroline schaut aus dem beschlagenen Fenster, scheint nachzudenken, streicht sich einige feuchte Haarsträhnen hinter das Ohr und räuspert sich fast unhörbar.
»Es kommt mir vor, als wollten alle mich zwingen, ihn zu vergessen.«
»Warum glauben Sie, dass die anderen das wollen?«
»Sie wollen, dass ich weiterkomme. Irgendwann Examen mache. Mir eine Arbeit suche. Einen Typen und zwei Kinder. Das ganze Programm. Sie wissen schon. Das Leben sozusagen.«
Ich nicke und sehe sie an. Ich weiß genau, was sie meint. Ich weiß genau, was es bedeutet, die Vergangenheit nicht loslassen zu können.
Das Leben sozusagen.
Caroline blickt mich fragend an und spielt mit einer feuchten Strähne. Ich weiß, dass sie irgendeine Antwort von mir erwartet. Als ob ich die Antwort wüsste. Als ob es eine Antwort geben könnte.
Also mache ich etwas, das ich nur sehr selten tue. Ich beschließe, zuerst Mitmensch zu sein und erst dann Therapeutin.
»Ich spreche eigentlich nicht mit meinen Klienten über mich selbst, aber vor einigen Jahren ist mein Mann bei einem Unfall ums Leben gekommen. Auch ich dachte, mein Leben sei zu Ende. Sah keinen Grund, weiterzumachen. Lag vor allem zu Hause im Bett und roch an seinen T-Shirts, Sie kennen das, ja?«
Caroline lächelt ein wenig, und etwas in ihrem Gesicht ändert sich. Sie entspannt sich, der harte Zug um die Kiefer verschwindet. Die hellen Augen weiten sich, und zum ersten Mal sieht sie mich mit wirklichem Interesse an.
»Was ist passiert?«
Ihre Stimme ist ein Flüstern.
»Es war ein Unfall. Eigentlich weiß niemand, was genau passiert ist. Sie glauben, dass er beim Tauchen die Kontrolle verloren hat, und … sie haben ihn in neunzig Meter Tiefe gefunden.«
Sie nickt ernst.
»Und heute?«
Mein Lächeln ist echt.
»Ich habe einen neuen Freund, Markus. Und ein Kind, Erik. Ich bin glücklich. Aber ich habe lange gebraucht, um weitergehen zu können. Und meine Freunde glaubten, dass ich wirklich den Verstand verloren hätte. Meine beste Freundin, Aina, ist sogar vorübergehend zu mir gezogen. Wurde sozusagen zu meinem Kindermädchen. Hat aufgepasst, dass ich esse und schlafe. Dass ich morgens aufstehe und dusche. Hat mich gezwungen, mit ihr in die Stadt zu gehen. In Restaurants. Bars. Ins Kino. Wir haben Tauben gefüttert, sind spazieren gegangen. Waren im Museum. Im Supermarkt. Haben den Alltag trainiert.«
»Wie haben Sie es geschafft, ihn loszulassen?«
Caroline mustert mich aufmerksam. Jetzt mit ernster Miene.
»Wer behauptet, ich hätte ihn losgelassen?«
Sowie ich das sage, merke ich, was das für ein blödsinniger Kommentar ist. Vor mir sitzt eine Frau, deren ganzes Leben stehengeblieben ist. Eine Frau, die in einem einzigen erstarrten Augenblick lebt, eingeschlossen in eine Blase aus Trauer und Abwehr.
»Was ich meine, ist, dass ich ihn noch in mir habe, in gewisser Weise ist er immer bei mir, aber ich bin in meinem Leben weitergegangen. Verstehen Sie den Unterschied?«
Sie nickt langsam.
Der Schnee ist in Regen übergegangen, und der Regen prasselt immer härter gegen die Fensterscheiben, während die dunklen Wolken sich wie ein Deckel über Södermalm schieben. Mein Zimmer kommt mir plötzlich bedrohlich finster vor.
»Genau«, sagt sie. »Genau so will ich das auch. Ich will ihn behalten, die Erinnerung an ihn, als alles gut war. An das, was wir zusammen hatten. Und ich will weiterkommen. Können Sie mir helfen?«
»Sie können das«, sage ich. »Ich werde Ihnen helfen, damit Sie sich selbst helfen können.«
Samstagvormittag. Erik sitzt im
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